Neue Dimensionen in der Feldesentwicklung

Thema im Fokus 1-2017 | Sabine Volland

Vor 15 Jahren startete der Ausbau der tiefen Geothermie im Großraum München mit der Anlage München-Riem. Seither haben sich in der Region zahlreiche Projekte auf Basis eines klassischen Dubletten-Systems entwickelt. Mittlerweile steht die tiefengeothermische Projektentwicklung an der Wende zu einer neue Generation leistungsfähigerer Geothermiekraftwerke, die andere Entwicklungsansätze benötigt.

Enerchange sprach mit Winfried Büchl, Leiter Geowissenschaften bei Erdwärme Bayern, über neue Dimensionen in der Feldesentwicklung.

Herr Büchl, wir stehen vor einer neuen Generation leistungsfähiger Geothermieprojekte. Was ist das zukunftweisende an diesen Projekten?

Es ist ein Prozess, der schon seit geraumer Zeit in Gange ist. Wenn wir uns die ersten Projekte in der Region, wie beispielsweise München-Riem ansehen, ist man jetzt im Vergleich dazu einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Nehmen wir die Erkundung: damals gehörte es nicht zum Standard, eine neue 2D-Seismik zu messen. Heutzutage ist eigentlich bei allen neuen Projekten eine 3D-Seismik Standard, und deren Auswertemethoden sind wesentlich ausgefeilter. Auch die Bohrtechnik hat sich weiterentwickelt.

Generell ist die Entwicklung, dass man ein Projekt von Anfang an unvoreingenommen betrachten muss. Früher hatte man den Bohrplatz frühzeitig festgelegt, sich die alte 2D-Seismik aus der Kohlenwasserstoffindustrie angeschaut, und das Projekt von dort aus entwickelt. Heute ist der Trend, nicht von vornherein den Standort festzulegen, sondern zuerst die Konzession nach interessanten Temperatur- und Tiefenbereichen auszuwählen. Diese sollten zudem in einem Korridor liegen, in dem die Bohrtiefen beherrschbar sind.   

Im Vergleich zu vor 10 Jahren stehen uns heute andere technische Möglichkeiten zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung. Sind dadurch auch die Ansätze der Projektentwicklung andere geworden?

Wir gehen in der Projektentwicklung offen an die Planung heran. Die Feldesentwicklung ist mehr ein dynamischer als ein standortbezogener Prozess. Wir sichten erst einmal die Altdaten für das gesamte Erlaubnisfeld, nicht nur für einen Teil. Die interessanten Bereiche werden über eine 3D-Seismik erkundet. Heutzutage kann bei der Auswertung im Rahmen des Processings und der Interpretation viel erreicht werden, beispielsweise über Attributanalysen. Die Geothermie hat den Vorteil, dass sie auf die Technologie der Erdölindustrie zurückgreifen kann. Ich wehre mich gegen die Aussage, die Erkundung in der Erdölindustrie sei eine andere als in der Geothermie. Natürlich unterscheiden sich die Bohrziele, die grundsätzlichen Aufsuchungsmethoden sind aber sehr ähnlich. Daher müssen wir in der Geothermie auch nicht so viele Tools neu entwickeln. Es ist klar, jedes Reservoir auf der Welt hat seine Eigenheiten. Die müssen gelernt und angepasst werden. Das geschieht auch in der Geothermie. Aber von den Grundtechniken kann man zahlreiches aus der Erdölindustrie übernehmen.

Es wird schon länger über eine Erhöhung der Anzahl von Bohrungen bei tiefen Geothermieprojekten diskutiert. Wie sehen Sie das für die Zukunft?

Die Anzahl der Bohrungen ist ein simpler Skalierungseffekt. Man kann verschiedene Modelle fahren. Da jede Bohrung von ihrer Leistung her individuell ist, wird es immer eine Streubreite im Produktionsindex geben. Deshalb ist es auch klar, dass ein *„2 in 1“- oder ein „3 in 2“-Szenario durchaus sehr interessant sein kann [*Anm. der Red.: zwei Produktionsbohrungen in eine Injektionsbohrung]. Das Ziel ist es, einen leistungsfähigen Gesamtvolumenstrom zu erzeugen. Für moderne Geothermiekraftwerke oberhalb von 10 Megawatt Leistung, wird die gängige Standard-Dublette nicht mehr ausreichen.

Technologisch ist es kein Unterschied, ob man nur zwei oder gleich mehrere Bohrungen abteuft. Aber für das Investment – hier vor allem das Erstinvestment – ist es relevant. Denn es ist schwieriger, die erste als die sechste Bohrung zu finanzieren. Bei einer Neubewertung eines Projekts nach jedem Meilenstein, kann man zu dem Ergebnis gelangen, dass sich bei einer gegebenen Fündigkeit zwei Bohrungen als die wirtschaftlich beste Option herausstellen. Aber in den meisten Fällen wird man zu dem Ergebnis kommen, dass eine größere Planung einen größeren Kapitalrückfluss bedeutet.

Sie hatten in Ihrem Vortrag auf dem letzten Praxisforum Geothermie.Bayern über eine deutliche Vergrößerung des Endbohrdurchmessers gesprochen. Ist das eine Größe der Zukunft?

Der Bohrdurchmesser hat seit den ersten Projekten in der Region zugenommen. Er hat einen sehr großen Anteil an der Leistung eines Kraftwerks, denn er senkt die Rohrreibung während der Produktion herab. Zum Vergleich: Einen Milchshake kann man nicht gut durch einen dünnen Strohhalm ziehen. Übertragen auf ein Geothermieprojekt würde im Fall eines geringeren Bohrdurchmessers die Pumpe leiden und der Volumenstrom herabgesetzt werden. Es gibt Projekte, die drei Viertel der Pumpleistung aufwenden müssen, um die Rohrreibung zu überwinden und nur ein Viertel gehen auf die Förderung aus dem Reservoir. Wir haben durchgerechnet, was die derzeitigen Projekte bringen würden, wenn sie mit einem einfach größeren Durchmesser gebohrt würden. Eine Größe mehr im Verrohrungsdurchmesser klingt erst einmal nicht viel, aber der Durchmesser geht im Quadrat in die Berechnung ein und bringt eine sehr relevante Verbesserung.

Welche Durchmesser wären für die von Ihnen zu entwickelnden Projekte sinnvoll?

In neueren Projekten bohrt man derzeit mit 26 Zoll bis auf rund 1.200 Meter Tiefe. Das ist eine noch vertretbare Größe. Es stellt sich dann die Frage, wie kommt man mit einem größtmöglichen Durchmesser im Reservoir noch an? Da muss man Kompromisse eingehen, weil man nicht immer Standardgrößen verwenden kann. Das ist bohrplanerisch eine Herausforderung. Man muss viele Teile, wie Bohrmeißel mit entsprechenden Reserven, auf Lager legen, weil sie kurzfristig nicht lieferbar wären.

Ein größerer Bohrdurchmesser bringt mehrere Konsequenzen mit sich, beispielsweise in Bezug auf die Kostenentwicklung für die Bohrung, den Materialaufwand der Casings, Bohrlochstabilität, etc. Was bedeutet eine Vergrößerung des Durchmessers und eine Verdopplung der Anzahl der Bohrungen als Kostenfaktor?

Das ist ein entscheidender Punkt. Es gibt zwei Effekte, die den höheren Kosten positiv entgegenstehen. Zum einen haben wir einen Skalierungseffekt. Ein doppelt so großes Kraftwerk ist nicht doppelt so teuer, weder von den Bauwerkskosten noch von den Kosten für die Turbinen. Für ein größeres Projekt braucht man nur ein minimal größeres Grundstück. Die Seismik muss auch nicht wesentlich größer sein. Man baut also doppelt so groß, mit doppelter Leistung, aber nicht mit den doppelten Kosten.

Der zweite Effekt bezieht sich auf die Bohrungen. Bei unserem Vergleich ergeben sich circa 10 bis 20 Prozent Kostensteigerung durch den größeren Bohrdurchmesser. Aber letztlich bringen sie von der zusätzlichen Produktivität her weit mehr als 10 bis 20 Prozent. Denn sie produzieren einen größeren Volumenstrom, also mehr Leistung, und zusätzlich ergibt sich einen geringerer Eigenverbrauch durch weniger Last auf der Pumpe.

Die Pumpen waren bislang immer ein kritischer Punkt für jedes Projekt. Ein höherer Bohrdurchmesser mit höherem Volumenstrom benötigt also keine anderen Pumpen?

Richtig. Wenn die Pumpe nur gegen den halben Widerstand arbeiten muss, schafft sie einen deutlich höheren Volumenstrom bei gleichbleibender Leistung.

Vorteilhaft ist, wenn bei mehreren Produktionsbrunnen beim Ausfall einer Pumpe die Anlage weiterlaufen und die Pumpen getrennt gewechselt werden können, ohne dass das Kraftwerk vom Netz genommen werden muss. Üblicherweise muss das Kraftwerk im Durchschnitt einmal im Jahr zu Wartungsarbeiten heruntergefahren werden. Um unnötige Stillstandzeiten nach den Wartungsarbeiten zu vermeiden, könnte man darüber nachdenken, routinemäßig bei der Wartung einen Pumpenwechsel mit anschließender Überholung der ausgebauten Pumpe durchzuführen.

Und wie bewerten Sie den wirtschaftlichen Gewinn mit steigendem Bohrdurchmesser?

Wir haben uns angesehen, wie gut die Produktivitätsindizes im Malm-Reservoir sind und darüber eine statistische Normalverteilung gerechnet. Die Gewinnzunahme fällt umso deutlicher aus, je besser das Reservoir ist. Aber bei Brunnen mit Produktivitäten im unteren Durchschnitt, kann der Bohrdurchmesser letztlich zwischen einem wirtschaftlichen oder unwirtschaftlichen Projekt entscheiden.

Gibt es ein steigendes Risiko, das mit einer Vergrößerung von Bohrdurchmesser, der damit verbundenen Leistungs- und Kostensteigerung verbunden ist?

Erst einmal gibt es in der Region, trotz verschiedener Bohrdurchmesser, keine Bohrung, bei der Bohrprobleme durch den Durchmesser bedingt waren. Es stehen uns heute Bohrtechnologien zur Verfügung, die vor 15 Jahren in der Geothermie nicht einsetzbar waren. Sie erlauben ein schnelleres und sauberes Bohren im Vergleich zu früher. Wir kennen die generellen Bohrrisiken und Probleme in der Molasse heute viel besser als früher und wissen, worauf wir uns einzustellen haben. Das Risiko besteht zunehmend nicht im größeren Durchmesser, sondern eher darin, dass die Planung risikoreich ist oder der Bohrpfad zu abenteuerlich gewählt wird. Wähle ich einen einfachen 2D-Bohrpfad mit einer moderaten Aufbaurate und habe eine gut eingestellte Spülung, sollten sich schon allein von dieser Warte aus viel weniger Probleme ergeben.

Das Hauptrisiko besteht meiner Meinung nach eher darin, dass ich die Technologie überbeanspruche oder im Nichtbeachten der Risiken der Formationen, die ich aber heutzutage relativ gut kenne. Als Vergleich habe ich beispielsweise das ABS im Auto. Es macht das Auto sicherer, aber trotzdem kann ich auch mit ABS nicht mit 100 km/h durch den Ort rasen, ohne das Risiko enorm zu erhöhen. Das beste Konzept gegen hohes Bohrrisiko ist eine gute Bohrplanung und erfahrene Leute bei der Umsetzung. Der Durchmesser spielt nicht die entscheidende Rolle.

Die Geothermiebranche profitiert von den Entwicklungen der Kohlenwasserstoffindustrie. Wäre für Sie eine Kooperation mit den entsprechenden Verbänden aus der Erdölindustrie, wie beispielsweise dem BVEG, wünschenswert?

Eine Zusammenarbeit mit dem BVEG ist ja bereits Realität. Die Standards bei den Tiefbohrungen wurden vom BVEG entwickelt und herausgegeben. Sie kommen in der tiefen Geothermie längst zur Anwendung. Neben einer Qualitätssicherung, sind sie auch für die Eingabe bei den Behörden unerlässlich, da sie akzeptierte Richtwerte liefern. In der Praxis benutzen wir diese Guidelines seit langem. Einige der Berater, Service- und Bohrdienstleister in der Geothermie kommen zudem ursprünglich aus dem Erdölbereich.

Müssen sich Ihrer Meinung nach die zukünftigen Geothermieprojekte in jeder Hinsicht vergrößern, auch im Sinne der Risikominimierung?

Das ist genau der Punkt. Wir müssen zeigen, dass größere Projekte möglich sind. Dies ist der einzige Weg, wie wir im Verhältnis unsere Investitionskosten pro Megawatt reduzieren können. Es gibt nicht nur ein Risiko, etwas zu tun, es gibt auch ein Risiko, etwas nicht zu tun. Wenn wir auch in Zukunft nur kleinere Projekte entwickeln, wird die Geothermie nie eine wirkliche Relevanz im erneuerbaren Energiemix haben und dadurch auch politisch wenig interessant sein. 

Herr Büchl, wir danken Ihnen für das ausführliche Interview.