Wirtschaftlichkeitsaspekte von geothermischen Fernwärmeprojekten

Thema im Fokus 4-2017 | Sabine Volland

Letztes Jahr hat der Fernwärmeversorger IEP Innovative Energie für Pullach GmbH bei München nach 10 Jahren sein Preismodell erneuert. Die Preisgleitklausel des neuen Tarifmodells wurde an die veränderten Umstände der heutigen Zeit angepasst, indem man sie vom Ölpreis entkoppelt hat. Sie berücksichtigt nun die Kosten- und Marktsituation in einer angemessenen Art und Weise, zum Schutz des Kunden und der Gesellschaft gleichermaßen. Im Rahmen der neuen Preisgestaltung wurden die verbrauchsunabhängigen Preisbestandteile (Fixkosten) anteilig erhöht, aber das individuelle Verbraucherverhalten und die niedrigen Betriebskosten der Anlage mittels einer zusätzlichen Komponente berücksichtigt. Ziel der Systemanpassung war es auch, mittels Preismechanismen die Verbrauchsspitzen auszugleichen, um noch weniger Spitzenlast mit fossilen Energieträgern abdecken zu müssen. Gleichzeitig können noch mehr Neukunden angeschlossen werden.

Die IEP bietet den Kunden verschiedene Sparmodelle mit Rückvergütungssystemen an, um eine möglichst gleichmäßige Auslastung der Anlage zu erreichen und Verbrauchsspitzen abzubauen, was nicht nur technisch und finanziell, sondern auch ökologisch besonders sinnvoll ist, weil es eine nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung der Ressource ermöglicht.

Bild entfernt.Enerchange sprach mit dem Geschäftsführer der IEP, Helmut Mangold, über das neue Preismodell und grundsätzliche Aspekte einer reellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von geothermischen Wärmeprojekten aus heutiger Sicht.

Herr Mangold, Sie hatten Ihr neues Preismodell auf dem letzten Praxisforum Geothermie.Bayern 2016 vorgestellt. Die IEP geht mit der preislichen Entkopplung vom Ölpreis einen neuen Weg. Wie ist die Überführung in das neue Tarifmodell gelungen?

Das hat gut funktioniert. Der Ausgangspunkt war eine längst überholte Vertragsvereinbarung, die vor 10 Jahren einmal mit 60 Prozent Ölanteil in der Preisgleitformel begonnen wurde und zu für den Endkunden schwer erklärbaren Preisschwankungen entlang des Ölpreises führte. Wir haben das Preismodell in dreierlei Hinsicht modernisiert. Erstens wurde die Preisgleitformel, die für die jährliche Preisanpassung ausschlaggebend ist, auf die nun bekannten Kostenbestandteile und Prognose für die kommenden 10 Jahre ausgelegt. Zweitens haben wir, im Verhältnis zum Gesamtwärmepreis, den Grundpreis von 20 auf 50 Prozent angehoben, gleichzeitig den Arbeitspreis von 80 auf 50 Prozent gesenkt.

Den Grundpreis radikal auf 80 Prozent zu heben, was der Fixkostenstruktur eines Fernwärmenetzes auf Geothermiebasis eher entspräche, wagten wir nicht. Es käme fast einer Wärme-Flatrate gleich. Wir haben stattdessen eine dritte Komponente eingeführt: Eine Preisstaffel nach Anlagenausnützung. Lastet ein Haushalt seine von der IEP installierte Wärmeübergabestation mehr als die durchschnittlichen 1.700 Jahresstunden aus, so zahlt er je Megawattstunde Wärmebezug im Mischpreis weniger und umgekehrt.

Wie können Sie als Fernwärmeanbieter Einfluss auf den Verbrauch beim Kunden nehmen?

Unser Anliegen ist gar nicht so sehr, auf den Verbrauch Einfluss zu nehmen. Wir greifen mit Erlaubnis des Kunden aktiv in die Leistungsaufnahme und die Verstetigung dieser ein. Wie überall im Energieumfeld, ist vor allem die Spitzenlast teuer. Unsere Geothermieleistung beträgt gut 15 MW. Die Anschlüsse summieren sich auf 30 MW. Abgefragt wurden am kältesten Tag des Jahres rund 18 MW, und genau dies muss jederzeit abgesichert sein. Wir sind mit allen Kunden online verbunden und steuern über unsere Wärmeübergabestationen die Ladezeiten der Boiler oder Warmwasserspeicher, Umwälzpumpen und Mischventile.

Komponente Eins ist: wir erteilen dem Kunden für einen auf das Jahr gesehen hohen Anteil von Rücklauftemperaturen unter 50 Grad Celsius eine Rückvergütung. Für Rücklauftemperaturen von mehrheitlich unter 40 Grad Celsius, bekommt er eine höhere Rückvergütung. Über Tipps und Tricks, wie eine Reduzierung der Rücklauftemperaturen zu erreichen ist, sind unsere Kunden sehr dankbar.

Komponente Zwei ist ein Vertragszusatz, der uns erlaubt, morgens zwischen 6 Uhr und 10 Uhr für maximal drei Stunden 1,5 MW Anschlussleistung ganz abzuschalten. Hat ein Kunde eine träge Fußbodenheizung und sein Boiler ist morgens vollgefüllt, dann spürt er die Abschaltung so gut wie nicht. Mit einem Großkunden wurden weiter „abschaltbare Lasten“ von 2 MW vereinbart. Die IEP muss nun erst „3,5 MW später“ Öl dazu schalten, sollte das dann überhaupt noch nötig sein. Und da sind wir erst am Anfang. Bislang gab es keine negative Rückmeldung seitens des Marktes.

Wie hoch sind die Rückvergütungen für den Kunden, wenn er einen Vertrag über das neue IEP-Preismodell abschließt?

Wenn der Kunde uns drei Stunden (Anm. d. R.: 100 Prozent) nach unserem Belieben in der vereinbarten Zeit abschalten lässt, bekommt er pro Kilowatt (kW) Anschlussleistung eine Rückvergütung von vier Euro pro Jahr. Bei 20 kW wären das 80 EUR oder rund 3 Prozent der Jahresrechnung. Erlaubt er uns nur 75 Prozent abzuschalten, erhält er drei Euro pro kW Anschlussleistung pro Jahr, zwei Euro bei 50 Prozent und einen Euro bei nur 25 Prozent Leistungsabschaltung.

Wir werden diese ganzen Mechanismen sicherlich noch ausbauen. Den weiteren Ausbau der Spitzenlast, den wir bei 2020/2021 als Absicherung normalerweise gebraucht hätten, können wir uns damit sparen. Die Kostenersparnis daraus geben wir zur Hälfte wieder an den Kunden als Rückvergütung weiter.

Das klingt, als könnte die IEP auch zielgerichtet Serviceleistungen im Rahmen eines modernen Kundenmanagements anbieten?

Die IEP ist Premiumanbieter am Markt und verkauft immer mehr Services. Wir können über unsere direkte Datenverbindung jeden Kunden einzeln bewirtschaften, auch die Kleinkunden. Woanders kauft der Kunde die Wärmeübergabestation mit seinem Anschluss selbst. Da hat der Wärmelieferant nur einen Wärmemengenzähler. Zur Verbrauchsermittlung muss ein Servicemitarbeiter den Kunden besuchen oder ihn eine Verbrauchskarte ausfüllen lassen.

In Pullach ist die IEP Besitzerin der Wärmeübergabestation und über ein Datenkabel direkt mit dem Kunden verbunden. Wir wissen in kurzer Taktung unsere Kennzahlen und die Funktionstüchtigkeit der Anlagenkomponenten des Kunden. Besonders Vermieter schätzen diesen „Steuerungsservice“ und die noch geringere Ausgaben für den Heizungsbauer, dessen Besuch quasi kaum noch anfällt. Gleichzeitig ist das aber auch eine stetige Herausforderung für unsere Dienstleister. Sie müssen für uns Steuerungssysteme entwickeln, die Einzel- oder Gruppenabschaltungen oder Abschaltungen auf Knopfdruck erlauben und generell ein Monitoring mit weniger Personaleinsatz ermöglichen.

Wir überlegen uns auch besondere Formen von zukunftsorientierten Contracting-Angeboten. In diesem Rahmen könnten man beispielsweise Haushalte, die eben erst ihre Heizung modernisiert haben, weil Fernwärme noch nicht verfügbar war, als zukünftige Kunden jetzt schon eine Art kostenlose Versicherung anbieten. Schließen diese potenziellen Kunden trotz modernisierter Heizung bereits heute einen Anschlussvertrag ab, weil der Ausbau des Netzes erst in einigen Jahren vorgesehen ist oder „aus rein heutiger Betrachtung“ unwirtschaftlich ist, ist es denkbar, ihnen bis dahin Übergangslösungen in Form von Reparaturübernahmen oder Ersatzbereitstellung im Schadensfall anzubieten, bis sie sich am Ende des Lebenszyklus ihrer Heizungsanlage ganz an die Fernwärme anschließen lassen. Über diese Art „Versicherungsmodell“, z. B. in Partnerschaft mit dem Heizungsbauhandwerk, könnte quasi das Versprechen einer Vollversorgung abgegeben werden, weil die Rentabilität auf alle Fälle erreichbar ist.

Die Einzelanschlussleistung ist ja ein entscheidender Punkt, wie hoch sie pro Verbraucher für eine gewisse Projektrentabilität überhaupt sein darf. Manche Gemeinden können sich eine Subventionierung von Kleinsteinheiten leisten, andere können das nicht.

Unsere Zahlen sagen, dass sich auch Anschlüsse von Kleinsteinheiten mit 15 kW Anschlussleistung rechnen. Bereits eine Anschlussdichte von 60 Prozent kann einen positiven Deckungsbeitrag liefern.

Das neue Preismodell und ihre Serviceangebote erlauben Ihnen auch eine andere Art der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung Ihres Projekts. Welche weiteren Regulierungsmechanismen müssten Ihrer Ansicht nach tatsächlich in einer reellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung abgebildet sein?

Die klassische Investitionsrechnung auf 20 Jahre wird einem Fernwärmeprojekt auf Geothermiebasis in keiner Weise gerecht. Man benötigt einen längeren Atem. Ich kann Ihnen ein paar Stichworte nennen, die über die klassische Investitionsrechnung hinausgehen. Prinzipiell geht es um einige politische Überlegungen: Welchen Anteil will ein Projekt durch Hausanschlusskosten und Baukostenzuschuss verdienen? Wieviel Freimeter zum Hausanschluss bekommt der Kunde? Was kosten individuelle Erschwernisse? Für manche wird das im Vergleich zu anderen Energieträgern zu teuer, so dass sie lieber auf die Fernwärme verzichten.

Betrachtet man die Anschlusskosten, die vom Kunden insgesamt bezahlt werden, so stellen diese auf kurze Sicht einen wichtigen Finanzierungsaspekt dar. Auf lange Sicht jedoch sind sie in der Cash-Flow-Betrachtung unerheblich, aber heute hinderlich in der Akquisition eines Anschlusses und Erhöhung der Wärmedichte je Laufmeter Fernwärmetrasse. Es gilt hier, Augenmaß zu wahren und im Spannungsraum von Subvention und Markt für die Gesellschaft und auf den Ort hin die richtige Mischung finden.

Gibt es noch andere Aspekte, die nennenswerten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit eines geothermischen Fernwärmeprojekts haben?

Es stellt sich zunehmend die Frage, welche Auswirkungen die ganzen Temperaturrekorde der letzten Jahre haben? Gegenüber meinen Vorgängern musste ich die Gradtagzahlkurve deutlich anpassen.

Könnten Sie das etwas genauer erklären?

In den Bergen kann ich im Vergleich zu Kunden im Tal mehr Wärme verkaufen, weil mit zunehmender Höhe die Durchschnittstemperaturen auf das Jahr gesehen im Schnitt länger unter 15 Grad Celsius liegen. Diese Erkenntnis fließt über die Gradtagzahl direkt in die Wirtschaftsplanung ein. Die Gradtagzahl beschreibt, wieviel Stunden einer Tagesdurchschnittstemperatur unter 15 Grad liegen.

Am Beispiel Pullach kann ich das verdeutlichen. Wenn ich die Gradtagzahl für Pullach beim Deutschen Wetterdienst suche, wird Kempten im Allgäu als Vergleichswert angegeben. Aber Kempten liegt nicht an einer Großstadt, liegt im Schnitt etwa 70 Meter höher und die Bedeckung mit Nebel oder Wolken verhält sich anders. Nach diesen Zahlen würden wir knapp 20 Prozent mehr Umsatz erwirtschaften, was aber nicht der Fall ist, obwohl mir diese Gradtagzahl „zugeordnet“ ist und mit dieser bei Projektbeginn gerechnet wurde.

Wir legen mittlerweile unsere eigenen Messungen zu Grunde und haben unsere Umsätze – auch die zukünftigen – dramatisch reduziert. Jetzt stimmen unsere Planzahlen mit den Ergebnissen gut überein. Die Umsatzplanungen, mit denen das Projekt vor 10 Jahren begonnen wurde, sind Geschichte. Das sind regelrechte Wirtschaftlichkeitsfallen.

Ihre eigenen Messungen haben ergeben, dass viel mehr Tage Durchschnittstemperaturen über 15 Grad Celsius haben als damals geplant? Ist das ein Rechenfehler oder Klimawandel?

Die damalige Datenbasis gab es nicht besser her. Aus unserer Sicht ist ein Klimawandel spürbar. Wenn man die 30-Jahreszahlen der amtlichen Wetterstationen zur Berechnung heranzieht, müsste unser Umsatz immer noch höher sein. Wenn wir aber nur die letzten fünf Jahre betrachten, stimmen die Umsatzkurven wieder überein. Jetzt stellt sich die Frage, ob die letzten fünf Jahre mit ständig neuen Temperaturrekorden ein Zeichen des Klimawandels sind oder nur statistische Ausreißer?

Wir rechnen so, als ob der Klimawandel eingetreten ist und haben unsere Planung nach unten korrigiert. Es hilft ja nichts, nur von Ausreißern zu träumen, denn wir benötigen realistische Umsätze für die Wirtschaftsplanung. Dass das erhebliche Auswirkungen auf die Projektrendite hat, kann jeder leicht erahnen.

Herr Mangold, wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview!

Helmut Mangold ist Diplom-Kaufmann und hat in Wien Handelswissenschaften studiert. Nach 20 Jahren als Unternehmensberater und Geschäftsführer eines Softwareunternehmens, war er als wirtschaftspolitischer Berater im Bayerischen Landtag und Deutschen Bundestag in verschiedenen Untersuchungsausschüssen tätig. 2008 wurde er Gemeinderatsmitglied in Pullach. Seit 2013 ist er Geschäftsführer der Innovativen Energie für Pullach GmbH, der Geothermiegesellschaft der Gemeinde Pullach im Isartal.

Helmut Mangold wird auf dem diesjährigen Praxisforum am 12. September 2017 im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München eine Keynote zu den Erfahrungen und Fallstricken in der Wirtschaftlichkeit von geothermischen Fernwärmeprojekten halten und im Anschluss Forum II „Wirtschaftlichkeit der geothermischen Wärmenutzung“ moderieren.

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