Brenner Basistunnel: Geothermale Wärme für Innsbruck?

25.02.2021 | Forschung, Internationale Projekte | Karin Jehle

Ein Forschungsverbund unter Leitung der TU Graz prüft, ob die geothermische Wärme im von der Baustelle abgeleiteten Tunnelwasser für die Energieversorgung der Stadt Innsbruck nutzbar gemacht werden kann. Darüber hinaus erkunden die Wissenschaftler*innen, welches geothermische Potenzial generell in Tunnelbauten steckt.

Der Brenner Basistunnel soll nach seiner Fertigstellung in ungefähr zehn Jahren für Entlastung im Transitverkehr zwischen Italien und Österreich sorgen. Sowohl bei den aktuellen Bauarbeiten als auch im späteren Betrieb fällt Drainagewasser an, das möglicherweise zum klimafreundlichen Heizen und Kühlen von Häusern oder sogar ganzen Stadtvierteln in Innsbruck genutzt werden kann.

Wie die Technische Universität Graz in einer Pressemeldung mitteilt, erarbeitet ein von der TU geleiteter Forschungsverbund im Rahmen des FFG-Programms „Stadt der Zukunft“ ein nachhaltiges Konzept für die Stadt Innsbruck. Beteiligt sind die Brenner Basistunnel Gesellschaft (BBT SE), die Innsbrucker Kommunalbetriebe sowie das Institut für Felsmechanik und Tunnelbau der TU Graz.

Richtungsweisende Ergebnisse innerhalb eines Jahres

Innerhalb eines Jahres wollen die Forschenden mithilfe von Simulationsmodellen für den Brenner Basistunnel eine erste Abschätzung treffen, welche infrastrukturellen Maßnahmen es braucht, um die höchste Energieausbeute zu erzielen.

Projektkoordinator Thomas Geisler vom Institut für Felsmechanik und Tunnelbau nennt Beispiele: „Wir testen etwa Möglichkeiten, ob und wie wir die Temperatur des Drainagewassers auf ein höheres Niveau bringen können. Eine denkbare Variante sind sogenannte Absorber-Techniken (Energie-Anker oder Energie-Sohlen, Anm.), die an der Tunnelinnenwand verbaut werden und die Gebirgswärme aufnehmen. Darüber hinaus wollen wir klären, wie eine sinnvolle ökonomische Verteilung des Wassers hinein in die Haushalte erfolgen kann und wie die Wärmepumpen und die Wärmeübertrager geplant oder adaptiert werden müssen.“

Die Ergebnisse dienen der BBT SE und den Innsbrucker Kommunalbetrieben schlussendlich als Entscheidungslage für die weitere wirtschaftliche und technische Umsetzung.

Tunnel-Neigung und dritte Röhre als Kostenvorteile

Bei ihren Planungen kommen den Forschenden die Alleinstellungsmerkmale des mit 64 Kilometern dann längsten Eisenbahntunnels der Welt zugute: Durch seine Länge und seine Neigung zu Innsbruck hin fließt das Tunnelwasser im Brenner Basistunnel automatisch und ohne zusätzlichen Pumpenaufwand auf die Stadt zu. Außerdem befindet sich unter den Hauptröhren ein Erkundungsstollen, der schon fast fertiggestellt ist und über den auch das Drainagewasser der Haupttunnel zukünftig abgeleitet wird.

Im Erkundungsstollen können somit Konzepte zur Energiegewinnung entwickelt werden, die den Bahnbetrieb nicht behindern. Die Umsetzung ist also mit weniger Aufwand und mit geringeren Kosten verbunden, als dies bei vergleichbaren Projekten der Fall war – in Stuttgart (Fasanenhof-Tunnel), der Schweiz (Gotthard-Basistunnel) und in Jenbach (Unterinntaltrasse, Tirol) wird eine ähnliche Form der geothermischen Energiegewinnung bereits umgesetzt.

Forschungsinstitutionen arbeiten gemeinsam an Lösungen

Die Herausforderung bleibt trotzdem groß. Um das effizienteste System identifizieren zu können, müssen die Forschenden die Menge des Wassers, die nach Fertigstellung des Brenner Basistunnels zur Verfügung steht sowie dessen Temperatur kennen. Fachlich unterstützt werden sie hierbei von Teams des AIT und der Geologischen Bundesanstalt sowie von BOKU-Forschenden des Instituts für Angewandte Geologie und des Instituts für Energie und Verfahrenstechnik.

„Wir haben das Projekt sehr interdisziplinär angelegt, zumal es für das beste Ergebnis die Expertise aus den Fachgebieten Hydrogeologie, Tunnelbau, Verfahrenstechnik und Hydrochemie braucht“, so Geisler. Die notwendigen Daten für die Untersuchungen kommen von der BBT SE und den Innsbrucker Kommunalbetrieben.

Pionierarbeit auch für bestehende Projekte

Ein weiterer wichtiger Kernaspekt der Arbeit zielt auf die Übertragbarkeit des Konzepts auf andere, auch bestehende Tunnelbauten ab. Die Forschungsgruppe wird im Zuge des Projekts untersuchen, mit welchen Technologien aktuelle Tunnelbauprojekte ergänzt und bereits aktive Tunnelanlagen nachgerüstet werden können, um ihr energetisches Potenzial voll auszuschöpfen.

„Das oberirdische Platzangebot wird immer knapper und der Energiebedarf immer größer. Untertagebauwerke sind natürliche Energie- und Wärmequellen. Nicht nur aus ökologischer Sicht, auch aus Platzgründen ist es also nur gut und sinnvoll, diese Infrastruktur zukünftig verstärkt für die Energieversorgung zu nutzen“, hofft Thomas Marcher, Leiter des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau, auf Vorbildwirkung für Tunnelplaner und -betreiber auf der ganzen Welt.

Bei aller Zuversicht für eine nachhaltige Wärmenutzung mahnt der Felsmechaniker zu einem besonnenen Vorgehen: „Wir müssen intensiv überprüfen, wie sich der Wärmeentzug langfristig auf die thermophysikalischen Eigenschaften des Gebirges auswirkt. Denn was wir alle nicht wollen: Eine Abkühlung in einer solchen Dimension, die die Energiegewinnung langfristig schmälert.“

An der TU Graz ist diese Forschung in den „Fields of Expertise“ Advanced Materials Science und Sustainable Systems verankert, zwei von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der Universität. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie im Rahmen des Programms „Stadt der Zukunft“ der Österreichischen Forschungsgesellschaft (FFG).

ThermoCluster-Projektpartner

  • TU Graz | Institut für Felsmechanik & Tunnelbau (Lead)
  • Austrian Institute of Technology GmbH, Center for Energy
  • BOKU | Institut für Angewandte Geologie & Institut für Verfahrens- und Energietechnik
  • Geologische Bundesanstalt | Abteilung Hydrogeologie und Geothermie
  • Innsbrucker Kommunalbetriebe AG
  • Galleria di Base del Brennero - Brenner Basistunnel BBT SE

Laufzeit: 02/2021 bis 02/2022

Quelle:

TU Graz

Schlagworte