Geothermie macht unabhängig von fluktuierenden fossilen Brennstoffpreisen und CO2-Besteuerung

28.10.2021 | Veranstaltungen | Karin Jehle
Workshops Praxisforum Geothermie.Bayern

Eines der dringlichsten energiepolitischen Themen ist derzeit die Wärmewende – auch angesichts hoher Energiepreise. Das Praxisforum Geothermie.Bayern 2021 zeigte am Vormittag des Kongresstags auf, welche Lösungen die tiefe Geothermie hier bietet.

Nach einem erfolgreichen Workshop-Tag am 27. Oktober, der sich mit technischen Herausforderungen im Betrieb von Geothermieanlagen befasste, stieg der Kongresstag mit der Transformation hin zu einer klimafreundlichen Wärmeversorgung ein.

„Energieversorgungstechnisch wird der Ruf nach erneuerbarer Wärme immer lauter, und er kommt nicht nur aus der Branche, sondern auch von Stadtwerken und Kommunen, die sich von fluktuierenden fossilen Brennstoffpreisen und CO2-Besteuerung unabhängig machen wollen“, so Dr. Jochen Schneider von der Enerchange GmbH & Co. KG, der Veranstalterin des Praxisforums Geothermie.Bayern, in seinem Grußwort. „Und es zeigt sich in der Nachfrage, dass Geothermie das beste Angebot für die Wärmewende machen kann – preislich und versorgungstechnisch.“

Transformation des Energiesystems

In ihren Keynotes zum Auftakt des Praxisforums Geothermie.Bayern thematisierten die Referent:innen die erhebliche Bedeutung, welche die geothermale Fernwärme für die Wärmewende spielen kann und muss, wenn die Klimaneutralität erreicht werden soll. Lena Pickert vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln hat ein Gutachten zur aktuellen dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ mitverfasst. Sie stellte dar, dass die CO2-Emissionen deutlich schneller sinken müssen als bislang, um die Klimaziele noch zu erreichen. Strom wird bis 2045 zum wichtigsten Energieträger, die Erzeugung ist schon bis 2040 nahezu klimaneutral. Bei der Transformation der Verbrauchssektoren wird im Gebäudesektor die Fernwärme künftig eine größere Rolle spielen. Aufgrund der besseren Effizienz in der Gebäudedämmung steigt die Zahl der angeschlossenen Gebäude, während gleichzeitig die Nachfrage insgesamt sinkt. Für die tiefe Geothermie sieht die Studie einen Beitrag von neun Terrawattstunden jährlich bis 2040 vor, der vor allem in Regionen mit geeigneten geologischen Strukturen verortet wird. Das Potenzial ist vorhanden – es zu heben, ist die naheliegende Aufgabe für Städte und Kommunen. Frau Pickert war aus Köln online zugeschaltet.

Der Beitrag von Harald Rapp von der AGFW, dem Effizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V., zielte auf die Dekarbonisierung der Fernwärmesysteme. In einer „Roadmap Grüne Fernwärme“ skizzierte er, wie verschiedene klimafreundliche Wärmequellen Schritt für Schritt in bereits vorhandene Fernwärmenetze eingebunden werden. Die Tiefengeothermie spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine Vervierfachung der heutigen Zubauzahlen in der leitungsgebundenen Energieversorgung sei notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Auf der Erzeugungsseite wird zukünftig ein Mix verschiedener grüner Erzeugungstechnologien vorhanden sein, der lokal intelligent angepasst werden muss. Davon gilt es, die Lokalpolitik und Bürgergesellschaft zu überzeugen. In Modellkommunen wird dies durch die AGFW-Plattform Grüne Fernwärme umgesetzt. Den Kommunen wird dabei eine Orientierung in der Wärmewende angeboten. Der AGFW hat dazu einen „Werkzeugkasten“ entwickelt mit Leitfäden, Unterstützung bei Fördermittelbeschaffung, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerktreffen und vielem mehr. Zentraler Punkt ist dabei eine Initialberatung vor Ort.

Technische und ökonomische Aspekte bei der Transformation des Fernwärmesystems in München stellte Dr. Herbert Koschel von den Stadtwerken München (SWM) in der dritten Keynote dar. 35 Prozent des Münchner Wärmebedarfs werden bereits aus Fernwärme gedeckt. Zwei Geothermieanlagen im Stadtgebiet speisen seit Jahren zuverlässig ins Wärmenetz der Millionenstadt ein (Freiham seit 2016 und Ried seit 2004). Im Bau weit fortgeschritten ist die Anlage auf dem Gelände des ehemaligen Heizkraftwerks Süd – mit sechs Bohrungen die größte Geothermieanlage Europas. Drei Anlagen aus dem Umland sind bereits in das Wärmenetz der Stadt eingebunden. Bis 2040 sollen es insgesamt 15 Dubletten mit einer Leistung von 350 bis 400 Megawatt sein, um die Wärmeversorgung komplett klimaneutral zu gestalten.

Forum I – geothermische Wärmeversorgung

Forum I am Vormittag thematisierte unterschiedliche Ansätze der geothermalen Wärmenutzung in der Praxis. Benjamin Richter von Rödl & Partner, die auch in diesem Jahr wieder als Gold Sponsor das Praxisforum Geothermie.Bayern unterstützen, zeigte die Möglichkeiten auf, die im novellierten KWK-Gesetz liegen. Die Tiefengeothermie kann gerade in den urbanen Ballungsräumen ihre Vorteile wie den geringen Platzbedarf ausspielen. Im KWKG bieten sich neue Optionen, wenn erneuerbare Energiequellen zusätzlich in ein bislang mit KWK gespeiste Wärmenetze eingebunden werden. Hier wurde eine zusätzliche Fördermöglichkeit geschaffen, die auch Mittel für Tiefbohrungen umfasst. Dadurch lassen sich ganz neue Regionen für die geothermische Nutzung erschließen, wenn auch Temperaturen unter 100 Grad Celsius aus mitteltiefer Geothermie wirtschaftlich darstellbar werden.

Im ländlichen Raum ist die Vernetzung von landwirtschaftlicher Nutzung der geothermischen Wärme, beispielsweise in Gewächshäusern, mit der Versorgung von lokalen Haushalten und Gewerbe eine attraktive Variante, die durchaus zur Akzeptanz vor Ort beiträgt. Hier bietet sich eine Kaskadennutzung an, so dass Haushalte und Industrie die höheren Temperaturen direkt aus der Geothermieanlage nutzen können, während die Gewächshäuser auch mit 60 Grad Celsius noch gut bedient sind. Dadurch kann die Reinjektionstemperatur sinken, was wiederum die Effizienz des Gesamtprojektes erhöht. Bernhard Gubo von der Geoenergie Bayern stellte dies anhand des neuen Projektes in Polling dar, das sich gerade noch im Genehmigungsverfahren befindet.

Zur Minderung der immer noch bestehenden Wirtschaftlichkeitslücke von geothermischen Anlagen könnte der Vertrieb von Zertifikaten zur freiwilligen Kompensation von CO2-Emissionen beitragen. Dr. Carl Ulrich Gminder vom Schweizer Start-Up Go-Climate möchte Unternehmen dabei unterstützen, was er in seinem Online-Vortrag präsentierte. Sein Kollege Miles Müller war vor Ort in Pullach, gestaltete einen Teil der Präsentation und stand für Fragen zur Verfügung.

Für mehr Bürger:innenbeteiligung in der Fernwärmeversorgung steht die EnergieGenossenschaft Inn-Salzach eG, die in Emmerting, Landkreis Altötting, ein Fernwärmenetz betreibt, aber auch Solaranlagen und Windräder in Bürger:innenhand aufgebaut hat und in Zusammenarbeit mit Kommunen ein Netz von Ladesäulen für Elektroautos aufbaut. Eine Energiegenossenschaft kann mit einer Rendite von drei bis vier Prozent Projekte realisieren, die für Investoren vielleicht eher unattraktiv wären. Sie ist gemeinwohlorientiert statt gewinnorientiert, die Wertschöpfung bleibt in der Region, die Transparenz ist hoch und das schafft Vertrauen. Noch gibt es in Deutschland keine genossenschaftliche Beteiligung an Geothermieanlagen, doch die EGIS führt erste Gespräche mit einem Betreiber in der Region – es spricht vieles dafür, diese Option, die ebenfalls die Akzeptanz erhöht, vermehrt zu nutzen.

Quelle:

Enerchange