Der schlafende Riese erwacht: Potenzial der Tiefengeothermie wird entwickelt

Thema im Fokus 5-2020 | Karin Jehle
Praxisforum Geothermie Bayern 2020
Von den Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf die Geothermie bis hin zu den neuesten Entwicklungen der bayerischen Geothermieanlagen reichte das Themenspektrum beim Praxisforum Geothermie.Bayern 2020, das am 14. Oktober in Pullach stattfand. Das neue Format Hybridveranstaltung stieß mit über 100 TeilnehmerInnen auf reges Interesse.

Auch unter Pandemiebedingungen konnte das Praxisforum Geothermie.Bayern am 14. Oktober im Bürgerhaus Pullach stattfinden. Neu war das Format der Hybridveranstaltung, die neben den 50 zugelassenen BesucherInnen vor Ort nochmals ebenso vielen vor den heimischen Monitoren die Teilnahme ermöglichte.

„Mit 23 Geothermieanlagen ist Bayern ein geothermischer Hotspot in Deutschland“, so Dr. Jochen Schneider von der Enerchange GmbH & Co. KG, der Veranstalterin des Praxisforums Geothermie.Bayern in seinem Grußwort. „Sechs weitere Projekte sind aktuell in der konkreten Planung oder schon in der Umsetzung. Wir freuen uns, Ihnen beim diesjährigen Praxisforum Geothermie.Bayern neueste Entwicklungen aus Bayern aber auch aus Politik und Wissenschaft präsentieren zu können.“

Wärmewende durch Geothermie: Förderprogramme und gesetzliche Rahmenbedingungen

In ihren Keywords zum Auftakt des Praxisforums Geothermie.Bayern thematisierten die Redner die erhebliche Bedeutung, welche die geothermale Fernwärme für die Wärmewende spielen kann und muss, wenn die Klimaneutralität erreicht werden soll. Helmut Mangold von der Innovative Energie für Pullach GmbH stellte den großen Potenzialen der Geothermie die immer noch zu wenig förderlichen Rahmenbedingungen gegenüber. „Wir brauchen ein ebenes Spielfeld, damit die Geothermie ihre Vorteile ausspielen kann“, konstatierte er. „Unter fairen Rahmenbedingungen kann die Geothermie die Wärmekosten fossiler Energieträger heute schon unterschreiten.“ Mangold lud alle Anwesenden ein, sich der Initiative Wärmewende durch Geothermie anzuschließen, um das Thema in Politik und Gesellschaft mehr in den Fokus zu rücken.

Der Beitrag von Dr. Martin Pehnt vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg zielte auf die Dekarbonisierung der Wärme, vor allem der Fernwärmesysteme. Zudem erläuterte er die verschiedenen Förderprogramme, die für die Gestaltung der Wärmewende entwickelt wurden. In den fünf vom ifeu-Institut entwickelten Szenarien bis 2050 werden Fernwärmenetze eine bedeutende Rolle spielen mit einem Anteil der tiefen Geothermie bei 10 bis 15 Prozent je nach Szenario, was 15 bis 30 Terrawattstunden entspricht. Die Berechnungen des ifeu-Instituts zeigen dabei, dass die Tiefengeothermie die geringsten Wärmegestehungskosten unter den regenerativen Energieträgern aufweist. Pehnt ging unter anderem auf die Bedeutung der CO2-Bepreisung ein, für die es bisher aus seiner Sicht jedoch erst einen sehr „zahmen“ Einstieg gibt. Ein wichtiges Förderinstrument ist das Bundesprogramm effektive Wärmenetze, welches das Markanreizprogramm ersetzen soll. Nach dem Vorschlag des ifeu-Insituts würde es in einem Grund-Set-Up eine Investitionsförderung von 40 Prozent auf die Investitionsgesamtkosten und auch Machbarkeitsstudien und Betriebskostenförderung für Wärmepumpen und Solarthermie vorsehen.

Eine ganze Reihe von neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen tangiert den Ausbau der Geothermie, wie Benjamin Richter von Rödl & Partner in seinem Vortrag darstellte. So hat der erste Zwischenbericht zum Standortauswahlgesetz gezeigt, dass weder das Bayerische Molassebecken noch der Oberrheingraben zu den für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in die erste Vorauswahl genommenen Gebieten gehören. Dies kann entsprechende Genehmigungsverfahren für Bohrungen beschleunigen. Weitere Gesetze mit Auswirkungen auf die Geothermie sind das Brennstoffemissionshandelsgesetz, das fossile Energieträger verteuert und das Kohleausstiegsgesetz. Der im letzten Jahr beim Praxisforum Geothermie.Bayern von Staatsminister Hubert Aiwanger verkündete Masterplan Geothermie fördert die Vernetzung bestehender geothermaler Fernwärme sowie die Erschließung neuer Reservoirs. Entscheidend ist auch die Entwicklung des jüngst novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Für die Geothermie beinhaltet es eine reduzierte und verzögerte Degression der Einspeisevergütung. Sie ist um ein Jahr verschoben und beträgt nun zwei statt ursprünglich fünf Prozent. Außerdem wird die geothermische Stromerzeugung nicht der Ausschreibung unterliegen wie die Windenergie und größere Photovoltaikanlagen. Auch wird es keine Maximalmengen geben.

Forum I – geothermische Wärmeversorgung

Der erste Vortrag in Forum I wurde live aus Wien gesendet. Peter Keglovic vom kommunalen Energieversorger Wien Energie konnte nicht persönlich anreisen und wurde per Livestream eingebunden. Er stellte die Strategie der Stadt Wien sowie das Forschungsprojekt GeoTief Wien vor. Strategisch strebt die Wien Energie bis 2030 einen Anteil an regenerativer Wärme von 40 Prozent an. Heute schon verfügt Wien über ein Fernwärmenetz von 1.200 Kilometern, das bislang vor allem durch Müllverbrennung und Gaskraftwerke gespeist ist. Zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung setzt Wien auf Großwärmepumpen und Geothermie. Auf Wiener Gebiet liegen über 40 Prozent des technisch erschließbaren geothermischen Potenzials in Österreich. Das Projekt GeoTief erkundet nun mittels 3D-Seismik das Potenzial, um die bestmögliche Entwicklungsstrategie für den Raum Wien zu entwickeln.

Stefan Lange von der MTU Aero Engines AG stellte vor, wie die Geothermie ein Industrieunternehmen mit Wärme und Kälte versorgen könnte. Im Unternehmen besteht einerseits Bedarf an Wärme für die Produktionsprozesse, andererseits benötigen die Bürogebäude sowohl Wärme als auch Kälte. Die Spitzenwärmelast liegt bei 25 Megawatt. Gerade mit einer Einbeziehung der Kälteversorgung in das Gesamtkonzept könnte eine Dublette auf dem Werksgelände die Produktion der MTU deutlich dekarbonisieren.

Dr. Maximilian Keim erforscht an der Technischen Universität München den Ausbau der Tiefengeothermie in Bayern durch die Optimierung von Verbundleitungen. Dazu hat die TUM als Teil der Geothermie Allianz-Bayern ein Gutachten erstellt, beauftragt vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie im Rahmen des Masterplans Geothermie. Die Studie identifizierte insgesamt 99 Clusterregionen in Bayern, die von ihrer Wärmedichte her geeignet für eine Fernwärmeversorgung wären. Keim verdeutlichte, dass das technische Potenzial 40 Prozent des Wärmebedarfs in Bayern entspricht Insgesamt 7.655 Megawattstunden thermische Leistung kann die tiefe Geothermie bereitstellen, in den Gebieten mit Fernwärmeeignung sind dies bis zu 80 Prozent des Wärmebedarfs. Es liegen jedoch auch Gebiete mit sehr gutem geothermischen Potenzial außerhalb der Fernwärmegebiete, daher braucht es Verbundleitungen. In fünf Szenarien analysierten die WissenschaftlerInnen, wie das geothermische Potenzial auf diese Weise optimiert werden kann.

Das aktuellste Projekt der Stadtwerke München präsentierte Theo Kröper von der SWM Services GmbH mit dem integrierten Wärmenutzungskonzept am Heizkraftwerk Süd in Sendling. Heute schon sind 30 Prozent der Münchner Haushalte mit Fernwärme versorgt. In Freiham speist bereits eine Geothermieanlage ins Münchner Netz ein. Am Standort HKW Süd soll die Anlage mit sechs Bohrungen sowohl Wärme als auch Kälte bereitstellen, was auch zu einer Dezentralisierung der Produktion führen wird. Der dort entstehende Wärmespeicher kann sowohl Energie aus der Geothermie als auch aus den bestehenden GuD-Anlagen aufnehmen. Herausfordernd ist die Kopplung der verschiedenen Fernwärmenetze. Eine große Chance für den Standort ist, dass die Geothermiebohrungen am gleichen Standort erfolgen konnten, wo die bisherige Heizzentrale für die Fernwärme besteht.

Geothermie für die kommunale Daseinsvorsorge

In der anschließenden Podiumsdiskussion sprachen die Referenten über Wärmeverbundnetze und Wärmekosten. Die Studie der TUM verdeutlichte, dass die Wärmegestehungskosten der Geothermie durchaus konkurrenzfähig sind. Die Erschließungskosten sind jedoch immer noch sehr hoch. Fragen aus dem Publikum zielten darauf ab, ob auch weitere regenerative Wärmeerzeuger in die Netze eingebunden werden könnten. Dies untersuchte die Studie zwar nicht, aber wichtig für eine klimaneutrale Wärmeversorgung ist selbstverständlich die Nutzung aller erneuerbaren Energien. Auch das Thema Emissionshandel spielt der geothermalen Wärmeerzeugung in die Karten. Bei steigenden Preisen für Kohlendioxid punkten zukünftig die klimafreundlichen Technologien.

Zum Abschluss des Vormittags hielt Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund noch ein Grußwort und lud im Namen der „Wärmewende durch Geothermie“ zum Mittagessen ein. Sie ist eine der Pionierinnen der Geothermie in Bayern und hat das Geothermieprojekt in Pullach von Anfang an begleitet. Für Pullach war es eine sehr wichtige Entscheidung, in die Geothermie einzusteigen – mit einem zu 100 Prozent gemeindeeigenem Unternehmen. „Klimapolitik gehört zur modernen kommunalen Daseinsvorsorge“, konstatierte Tausendfreund. „Wir sitzen hier auf einem Wärmeschatz, den es zu nutzen gilt.“

Preiswürdige Geothermieanlagen und Nachwuchswissenschaftlerin

Auch in diesem Jahr wurden auf dem Praxisforum Geothermie.Bayern wieder die besten Anlagen in den Kategorien Strom und Wärme ausgezeichnet. Zudem prämierte der Christian-Hecht-Preis die beste nachwuchswissenschaftliche Arbeit.

Die Auszeichnung für die beste geothermische Wärmeleistung erhielt in diesem Jahr die Erdwärme Grünwald für die Geothermieanlage in Unterhaching. „Im Nutzungsverbund mit Unterhaching haben Sie das Potenzial des Verbundes deutlich erhöht“, so Jörg Uhde von der Pfalzwerke geofuture GmbH in seiner Laudatio. „Dafür gebührt Ihnen diese Anerkennung.“ Geschäftsführer Andreas Lederle nahm die Auszeichnung entgegen und gab das Lob direkt an sein Team weiter: „Ein entscheidender Punkt ist auch, dass wir nicht auf die maximale Wärmeleistung fahren. Wichtig ist es uns vor allem, unsere Kundinnen und Kunden konstant und zuverlässig zu beliefern.“

Als bestes geothermisches Kraftwerk wurde die Geothermie Traunreut ausgezeichnet. „Geothermie ist ein wichtiger Beitrag für die öffentliche Daseinsvorsorge“, würdigte Uhde die Preisträger und nahm Bezug auf die vorangegangene Podiumsdiskussion. „In Traunreut paart sie sich mit unternehmerischem Mut und Durchsetzungsvermögen.“ Für die Geothermie Traunreut war der technische Betriebsleiter Andreas Utz nach Pullach gekommen, der sich für die Wertschätzung bedankte: „Viele kleine Schritte führen zum Ziel. Und auch in Traunreut ist es eine Leistung der gesamten Mannschaft.“

„Es ist wichtig, das Wissen an die nächste Generation weiterzugeben“, leitete Dr. Christian Pletl von der SWM Services GmbH die Verleihung des Christian-Hecht-Preises ein. „Der 2017 verstorbene Geothermie-Pionier hätte die nach ihm benannte Auszeichnung absolut gutgeheißen.“ Dieses Jahr konnte Laura Spitzmüller vom KIT den Preis erringen. „Ihre Arbeit vereint innovativen Charakter, methodologische Klarheit und Praxisrelevanz“, erklärte Pletl die Wahl der Jury. Die Arbeit „Thermalwasseraufbereitung für die Rohstoffextraktion: Reduktion der SiO2-Konzentration“ forscht an Verfahren zur Lithiumextraktion – ein für die Elektromobilität wichtiges Element. Neben einem Preisgeld von 1.000 Euro, gestiftet von den Pfalzwerken geofuture, der GDMB und Enerchange, erhielt Laura Spitzmüller die Gelegenheit, ihre Arbeit vor einem fachkundigen Publikum zu präsentieren, welche sie bravourös nutzte.

Forum II – die Koproduktion von Strom und Wärme

Die Nachmittagssession konzentrierte sich auf die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme in Geothermiekraftwerken. Den Einstieg machte Patrick Ullmann von der SWM Services GmbH mit einem Online-Vortrag zur Entwicklung der Anlage in Kirchstockach.

Anschließend referierte Dr. Thomas Reif von der Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll zu Möglichkeiten, die Stromkosten für die Förderpumpen von Geothermieanlagen zu optimieren. Er stellte unter anderem die Anlage in Holzkirchen vor und verdeutlichte, wie viel Abgaben die tiefe Geothermie als erneuerbare Energie auf selbstverbrauchten Strom zahlen muss.

Das Geothermiekraftwerk Garching an der Alz steht kurz vor der Inbetriebnahme. Oliver Friedlaender, Geschäftsführer des Projektentwicklers Silenos Energy GmbH, berichtete über den Entwicklungsprozess des spannenden Projekts. Er lobte die Vorteile der Wasserkühlung und stellte die erwartete Effizienzsteigerung dar. Als weiteres Highlight hob er den Einbau der Summit-Förderpumpe heraus, die Installation ist ein Novum in Europa.

Aus Brescia zugeschaltet war Andrea Duvia vom italienischen Kraftwerkshersteller Turboden. Er stellte sechste ORC-Anlage vor, die Turboden in Kirchweidach im Auftrag von e.on bauen soll.

Zum Ende eines abwechslungsreichen Kongresstags präsentierte Bernhard Gubo von der Geoenergie Bayern Beteiligungen GmbH einen Erfahrungsbericht über die Projektentwicklung im Chiemgau. Mit der Aufsuchungserlaubnis für das Feld „GT Törring“ liegt die Geoenergie Bayern in guter Nachbarschaft zu vier bis fünf neuen Geothermieprojekten in Bayerns Osten. Im Bergrechtsfeld „GT Törring“ befinden sich überdurchschnittlich viele geologische Ziele mit sehr gutem geothermischem Potenzial. Temperaturen von 130 Grad Celsius sind prognostiziert. Alle Genehmigungen liegen jetzt vor und der Baubeginn des Bohrplatzes ist für das zweite Quartal 2021 geplant. Der Einsatz des innovativen „Thermodrills“ der Firma RED soll die Bohrzeit verkürzen. Ziel ist es, das Kraftwerk 2023 in Betrieb zu nehmen.

Zufriedene TeilnehmerInnen

Positives Feedback gab es von den TeilnehmerInnen des diesjährigen Praxisforums Geothermie.Bayern – online, persönlich und auf Twitter. „Nachdem die meisten Veranstaltungen der letzten Monate ins Netz verlagert oder gleich komplett abgesagt wurden, waren die TeilnehmerInnen froh, sich wieder treffen zu können“, resümierte Dr. Jochen Schneider nach der Veranstaltung. „Aus unserer Sicht ist das ein sehr interessantes Format, das wir wiederholen möchten, bis im Herbst 2021 hoffentlich wieder eine normale Veranstaltung möglich ist.“

Weitere Informationen erhalten Sie auf www.praxisforum-geothermie.bayern