Perspektiven der Geothermie im Rahmen der Energiewende in Baden-Württemberg - Ein Interview mit Landesumweltminister Franz Untersteller

Thema im Fokus 11-2011 | Enerchange

Seit Ende April 2011 hat Baden-Württemberg die erste grün-rote Landesregierung in Deutschland. Gleichzeitig wurde auf Bundesebene mit dem plötzlichen Atomausstieg die Energiewende beschleunigt. Die Geothermie kann im Energieszenario für Baden-Württemberg unter dieser Konstellation eine wichtige Rolle beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien spielen. Die Agentur Enerchange sprach mit dem Landesumweltminister Franz Untersteller über die Ausbauziele bei erneuerbaren Energien, bisherige Hemmnisse und  Potenziale für die Geothermie und die nun aktuellen Projekte im Land.

 

Herr Minister Untersteller, seit Mai dieses Jahres ist der Atomausstieg beschlossen und die Energiewende eingeleitet. Laut Zahlen aus Ihrem Ministerium von 2009 und 2010 liegt der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch bei ca. 10 bis 11 Prozent und damit im Bundesdurchschnitt. Welche wesentlichen Maßnahmen sollten Ihrer Ansicht nach in den kommenden Jahren ergriffen werden, um die Energiewende in Baden-Württemberg voranzubringen und welche Rolle spielt in Ihren Szenarien die tiefe Geothermie?

Wir wollen den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien zügig voran bringen. Mit der beabsichtigten Novelle des Landesplanungsgesetzes im Jahr 2012 beenden wir die jahrelange Blockade bei der Windkraft im Land. Ein Winderlass zur Genehmigungspraxis ist in Vorbereitung. Ziel ist es, einen flexiblen und schnellen Ausbau der Windkraft zu ermöglichen. Die Landesregierung will bis 2020 mindestens zehn Prozent des Strombedarfs aus „heimischer“ Windkraft decken. Daneben ist auch der weitere Ausbau der Photovoltaik, der Wasserkraft und mit Augenmaß auch der Biomassenutzung erforderlich.

Auch die Geothermie darf als wichtiger Baustein der Energiewende nicht vernachlässigt werden. Ich bin daher froh, dass wir uns nach den Schadensfällen in Leonberg mit der Geothermiebranche und der Versicherungswirtschaft über Qualitäts- und Versicherungsstandards bei Geothermiebohrungen einigen konnten. Damit hat oberflächennahe Geothermie in Baden Württemberg wieder alle Chancen. Auch die Potenziale der tiefen Geothermie müssen wir ausschöpfen. Neben den technischen und finanziellen Herausforderungen erschweren die seismischen Ereignisse in Basel und Landau den Ausbau der tiefen Geothermie. Die Erfahrungen aus diesen Ereignissen müssen daher künftig berücksichtigt werden. Entsprechend hat das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) als zuständige bergrechtliche Behörde bei der Genehmigung von Tiefenbohrungen am Standort Brühl, wo die erste Stufe zum Bau eines zweiten Geothermiekraftwerks mit geplanter Stromerzeugungsleistung von über 5 MW eingeleitet wurde, eine schrittweise Genehmigung vorgesehen. Indem hierbei die Erkenntnisse aus einem bestimmten Bohrabschnitt für den jeweils folgenden Genehmigungsschritt berücksichtigt werden, wird eine kontinuierlich verbesserte fundierte Entscheidungsgrundlage gewährleistet.

Der zügige Ausbau der Erneuerbaren Energien erfordert zudem eine weitgehende Umstellung des Energieversorgungssystems und die Bereitstellung der hierfür benötigten Infrastruktur. Um beispielsweise den von Offshore-Windkraftanlagen gewonnenen Strom nutzen zu können, ist der Ausbau der Übertragungsnetze erforderlich.

Wegen der fluktuierenden Einspeisung aus erneuerbaren Energien und dem damit immer größer werdenden Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch müssen künftig zudem verstärkt Energiespeicher wie Pumpspeicherkraftwerke oder Erdgasspeicher bereitgestellt werden. Die hiermit verbundenen nachteiligen Auswirkungen müssen in einem offenen und transparenten Prozess mit den Betroffenen vor Ort diskutiert werden, wie dies beispielsweise beim geplanten Pumpspeicherkraftwerk in Atdorf geschehen ist.

Da die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien noch Zeit braucht und um den Strombedarf auch zu Spitzenlastzeiten und bei geringer Erzeugung aus den derzeit vorhandenen Erneuerbaren Energien zu decken, müssen zur Sicherstellung der Stromversorgung auf absehbare Zeit weiterhin konventionelle Kraftwerke mit entsprechenden Kapazitäten bereitstehen. Daher werden zusätzliche, gut regelbare, flexible und hocheffiziente Gaskraftwerke benötigt. Allerdings reicht das derzeitige System der Strompreisbildung an der Strombörse erkennbar nicht aus, Preise zu bilden, die einen kostendeckenden Betrieb für neu zu bauende Gaskraftwerke ermöglichen und eine betriebswirtschaftlich realistische Amortisation der investierten Mittel erlauben. Daher müssen Maßnahmen entwickelt werden, mit denen finanzielle Anreize für Kraftwerksinvestoren geschaffen werden können. Die Schaffung von Kapazitätsmärkten könnte hier das geeignete Instrument sein. Um diese Möglichkeit näher zu beleuchten, hat die Landesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben und über den Bundesrat eine entsprechende Initiative gestartet.

Energiewende umfasst neben dem schnellstmöglichen Weg hin zu einer umfassenden, sicheren und auch bezahlbaren Erzeugung von Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien schließlich auch das überaus wichtige Handlungsfeld der Energieeffizienz und damit auch der Energieeinsparung. Sowohl aus ökologischer als ökonomischer Sicht ist die effizientere und damit intelligentere Nutzung knapper Rohstoffe und Energieträger unverzichtbar. Eingesparte Energie war und bleibt die beste Energie. Die energetische Sanierung von Gebäuden ist dabei ein wichtiger Beitrag.

Um den Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung in Gebäuden zu erhöhen, wollen wir das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWärmeG) 2012 novellieren. Hierbei prüfen wir zum einen, ob auch private Nichtwohngebäude, zum Beispiel Bürogebäude, in das Erneuerbare-Wärme-Gesetz einbezogen werden sollen und auch für sie verpflichtende Vorgaben zu machen sind. Zum anderen erwägen wir, den Pflichtanteil an erneuerbarer Energie bei Heizung und Warmwasser von derzeit zehn auf zunächst 15 Prozent zu erhöhen.

Wir werden darüber hinaus bis Ende 2012 ein Klimaschutzgesetz vorlegen, in dem konkrete Ziele für die Treibhausgasminimierung festgeschrieben werden. Entsprechend den Empfehlungen des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wollen wir bis 2050 die CO2-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990 um rund 90 Prozent reduzieren. Für die Jahre 2020, 2030 und 2040 sollen Zwischenziele auf der Grundlage eines Fachgutachtens entwickelt werden. Hierauf basierend werden wir in einem integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept konkrete Maßnahmen erarbeiten, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Es geht uns darum, dem Klimaschutz endlich einen rechtlich verbindlichen Stellenwert zu verschaffen.

Auch das Land selbst sieht sich in der Pflicht. Ergänzt wird die Arbeit an einem Klimaschutzgesetz deshalb durch das Bemühen, möglichst schnell zu einer klimaneutralen Landesverwaltung zu kommen, wozu auch die Umstellung der Stromversorgung der landeseigenen Liegenschaften auf 100 Prozent Öko-Strom gehört.

Wir gehen die Energiewende ambitioniert und konsequent an, weil wir darin große Chancen für die Umwelt und den Klimaschutz aber auch für die Wirtschaft sehen. Schließlich ist das Land schon heute bei modernen Umwelt- und Energietechniken führend. Energieeffizienz stärkt die Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Geringerer Energieverbrauch entlastet Unternehmen, Verbraucher und das Klima.

 

 

Um die Energiewende umzusetzen, sind neben den Kommunen, den großen Energieversorgern auch private Investoren notwendig. Ein Diskussionsforum auf der letzten Internationalen Geothermiekonferenz in 2011 in Freiburg hat jedoch gezeigt, dass gerade die langwierige Genehmigungspraxis bei Geothermie-Projekten in Baden Württemberg, die unter anderem mit einer Unterbesetzung bei Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau zusammenhängt viele Projektentwickler abschreckt. Sehen Sie hier Möglichkeiten, die Genehmigungspraxis zu beschleunigen?

In der Tat gab es bei der tiefen Geothermie in der Vergangenheit vergleichsweise lange Bearbeitungszeiten. Man muss dabei allerdings sehen, dass langwierige Gerichtsverfahren durch drei Instanzen, die für die Verwaltungspraxis Mustercharakter hatten, die Bearbeitung von Konzessionsanträgen über dreieinhalb Jahre für große Flächen des Oberrheingrabens blockiert haben. Durch das abschließende Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom März 2011 ist der Weg frei, die Geothermie-Konzessionen im Oberrheingraben zwischen Kehl und Mannheim neu zu ordnen. Die Abarbeitung der zwischenzeitlich aufgelaufenen Anträge in diesen Gebieten, die in Teilen miteinander in Konkurrenz stehen, hat begonnen.

Darüber hinaus spielt für die Verfahrensdauer auch die Bewertung möglicher seismologischer Auswirkungen eine ausschlaggebende Rolle. Die Vorhaben in Basel in 2006/07, aber auch in Landau, haben diese Fragestellung in den Vordergrund gerückt. Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau arbeitet hier eng mit den Antragstellern sowie dem neu gegründeten Landesforschungszentrum Geothermie (LFZG) zusammen und ist in nationale und europäische Forschungsvorhaben eingebunden, um eine Lösung des Problems zu erreichen. Da sich bei der Beurteilung seismologischer Ereignisse durch Geothermieprojekte bisher jedoch noch kein Standard entwickelt hat, ist hierbei zum Schutz der Bevölkerung mit großer Sorgfalt vorzugehen. Zudem betreten wir Neuland bei der Konstruktion der notwendigen Sicherheitsleistung für solche Geothermieprojekte, da seitens der Versicherungsgeber hierfür neue Vertragsmodelle entwickelt werden müssen. Wenn sich zu den beiden genannten Aspekten ein allgemein anerkannter Standard entwickelt haben wird, wird dies auch der Verfahrensdauer zugutekommen. Mir wäre es zwar auch lieber, wenn wir schneller ans Ziel kommen könnten. Bei diesen noch jungen Technologien und den potenziellen Risiken gilt aber das Grundprinzip, dass Qualität und Sicherheit vor Schnelligkeit gehen. Nur so kann auch die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass es gerade in Brühl durchaus Vorbehalte gegenüber dem dort geplanten Projekt gibt.

Baden-Württemberg hat mit der Wärmeanomalie in Karlsruhe einen der höchsten geothermischen Gradienten in Deutschland und damit die besten Voraussetzungen für die tiefe Geothermie. Bisher wurde aber erst ein Projekt verwirklicht. Plant die Landesregierung konkrete Maßnahmen - und wenn ja, welche, damit dieses Potenzial künftig gehoben wird?

Neben der zu erwartenden Temperatur des zu nutzenden Untergrundes sind weitere Gesichtspunkte für den Erfolg eines Tiefengeothermieprojekts ausschlaggebend. Hierzu gehört die Abwägung der Gewinnchancen mit verschiedenen Risiken wie dem seismischen oder dem betriebstechnischen Risiko oder auch die ausreichende Quantität und Qualität eines geothermischen Reservoirs.

Das Land gibt verschiedene Hilfestellungen, um die unternehmerische Entscheidung zugunsten der Tiefengeothermie zu erleichtern. So erhebt und bewertet das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau vorhandene Ressourcen und Risiken des Untergrundes in Baden-Württemberg im Planungsmaßstab. Die qualitätsgesicherten Ergebnisse werden öffentlich in Form von Karten und Informationssystemen im Internet zur Verfügung gestellt. Für die tiefengeothermische Nutzungen in Oberschwaben wurden in Zusammenarbeit mit dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben im Projekt „Hydrogeologische und geothermische Grundlagen zur Nutzung der tiefen Geothermie/Hydrogeothermie in der Region Bodensee-Oberschwaben“ Daten, Informationen und Karten zusammen getragen. Und für den Oberrheingraben erfolgt bis Ende 2012 eine Potenzialbewertung in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Schweiz, Frankreich und Rheinland-Pfalz. Für die Oberflächennahe Geothermie wird außerdem seit 2006 das Informationssystem Oberflächennahe Geothermie (ISONG) aufgebaut.

 

Sie haben auf einer Veranstaltung des Wirtschaftsverbands 100 Prozent in Freiburg kürzlich davon gesprochen, dass der Erfolg bzw. Misserfolg des jetzt genehmigten Projektes in Brühl bei Heidelberg über die Zukunft der Geothermie in Baden-Württemberg entscheidet. Ist es nicht etwas zu kurz gegriffen, die Zukunft einer noch relativ jungen Technologie mit einem einzigen Projekt zu verknüpfen? 

Es ist schlicht so, dass sich angesichts der Ereignisse in Basel in den Jahren 2006 und 2007 in Brühl die Frage der Abschätzung und Bewertung von ausgelösten Erdbeben zum ersten Mal in Baden-Württemberg gestellt hatte. Von daher wird dieses Projekt sowohl in geologisch-technischer als auch in bergrechtlicher Hinsicht rein faktisch einen Beispielcharakter beibehalten. Jedoch sind zwischenzeitlich auch Projekte in Neuried und Pfullendorf planerisch und genehmigungsrechtlich fortgeschritten und können zusammen mit Brühl wichtige Meilensteine für die Erschließung tiefer Geothermie in Baden-Württemberg bilden.