Tiefe Geothermie als Wärmequelle für die Schweiz

07.11.2022 | Internationale Projekte | Enerchange

Nicht nur in Deutschland treibt die Energiekrise die Suche nach alternativen Energieträgern voran. Auch in der Schweiz rechnen sie mit Blackouts und grauen sich vor kalten Wintern. Als vielversprechend gilt eine verstärkte Nutzung der Erdwärme – also der Geothermie.

Kann Energie aus dem tiefen Untergrund der Schweiz helfen die Energiekrise zu meistern? Nachforschungen zeigen das immense Potenzial der Tiefen Geothermie auf. Dennoch stehen der praktischen Umsetzung technische, ökonomische und politische Hürden im Weg. Darüber hinaus gibt es Bedenken, dass Tiefenbohrungen Erdbeben auslösen könnten. Dennoch treiben Schweizer Kantone und Städte eine Reihe an Projekte voran, um zukünftig mit Tiefengeothermie im großmaßstäbigen Bereich Wärme zu gewinnen.

Oberflächennahe und mitteltiefe Geothermie

Im kleinmaßstäbigen Bereich nutzt die Schweiz Erdwärme als regionale Energiequelle bereits. Laut SWI nutzen in der ganzen Schweiz fast 15 Prozent der schweizerischen Heizanlagen in Wohnungen, Büros und anderen Gebäuden Erdwärmepumpen. Im Jahr 2019 registrierte das Bundesamt für Energie 102.000 Erdsonden, was der "weltweit höchsten Konzentration pro Quadratkilometer" entspricht. Zusammen macht diese geothermische Wärmeerzeugung in geringer Tiefe aber nur 1,3 Prozent des Wärmebedarfs des Landes aus.

Und auch die mitteltiefe Geothermie wird bereits für Heizzwecke genutzt. Erdwärmesonden, installiert in einer Tiefe von bis zu 500 Metern, liefern Wärme für einzelnen Gebäude oder für Gebäudegruppen. Pro Jahr werden dank der mitteltiefen Geothermie bereits rund 4 Milliarden Kilowattstunden an Wärme produziert. So werden 4 bis 5 Prozent des landesweiten Wärmebedarfs gedeckt. Der Branchenverband Geothermie Schweiz schätzt das wirtschaftlich nutzbare Potenzial der mitteltiefen Anlagen aber auf 8 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Das entspräche ungefähr 9 Prozent des nationalen Wärmebedarfs. Hier gibt es also noch deutlich mehr zu holen.

Während die oberflächennahe und die mitteltiefe Geothermie bereits zum Heizen genutzt wird, sind kaum erfolgreiche Tiefenprojekte in der Schweiz umgesetzt worden. So trägt die Tiefen Geothermie in der Schweiz bis jetzt nur wenig zur Energieversorgung bei. Kaum verständlich, denn als erneuerbare, regionale Energiequelle ist sie die grundlastfähige alternative zu Erdöl und Erdgas. Unabhängig von Jahres- Tageszeit und Wetter strömt kontinuierlich Wärme aus dem Erdinneren an die Erdoberfläche. Trotzdem wird ihr immenses Potenzial in der Schweiz nur wenig genutzt. Aber warum?

Ein Mangel an Bohrungen

Fachleute blicken neidisch in die Schweizer Nachbarländer. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland findet man viele Erfolgsbeispiele für die Geothermie. Denn die geologischen Bedingungen im Pariser Becken als auch im süddeutsche Molassebecken sind hervorragend für die Nutzung von hydrothermaler Tiefengeothermie. Poröse, mit heißen Tiefenwasser gefüllte Kalksteinschichten ermöglich es klimafreundliche Wärme und Strom bereitzustellen. Dieser sogenannte Malmkalk im süddeutschen Molassebecken ist auch unter Teilen der Schweiz anzutreffen. Doch eine ungenügende Datenlage lässt keine Aussagen zu, ob er auch dort das gleiche Potenzial für die Geothermie hat. Während Deutschland auf seine Bergbau Vergangenheit und unzählige Gasbohrungen zurückblicken kann, fehlt es in der Schweiz an solchen Tiefbohrungen und demnach auch an Wissen über den Aufbau des Untergrundes. Doch das Verständnis dafür ist unerlässlich, um die Nutzung der geothermischen Wärme zu ermöglichen. Für eine erfolgreiche Umsetzung einer Geothermieanlage braucht es eine Schicht mit ausreichender Temperatur und Wasserdurchlässigkeit. Doch vielerorts in der Schweiz besteht ein hohes Risiko, dass die Bohrung nicht auf eine solche Schicht stößt. Demnach gibt es noch einen hohen Bedarf an Daten, die aufzeigen sollen, welche Erdschichten für eine geothermische Nutzung infrage kommen. Um diese günstigen Schichten im Untergrund zu finden, sind umfangreiche Voruntersuchungen nötig.

Voruntersuchungen und Akzeptanz

Mittels sogenannten Vibro-Trucks wird der Untergrund bis in Tiefen von 4.000 Metern untersucht. Hierbei werden Schallwellen in dem Untergrund gesendet, die an Gesteinsschichten reflektiert werden und an der Erdoberfläche wieder aufgefangen werden. Anhand der erhobenen Daten können Geologen dann aufzeigen, welche Schichten für die Nutzung der Tiefengeothermie geeignet sind.  Doch schon allein die Voruntersuchungen können zu Beschwerden aus der Bevölkerung führen, denen die Vibrationen der Messkampagne nicht geheuer ist. Doch vorangegangene Projekte zeigen: Eine breit aufgestellte Öffentlichkeitsarbeit mit transparenter Kommunikation lässt die Akzeptanz in der Bevölkerung steigen. Das wichtige ist dabei, der Bevölkerung das vorteilhafte Nutzen-Risiko-Verhältnis der Geothermie klarzumachen.

Fündigkeitsrisiko soll der Staat tragen

Doch nicht nur die Akzeptanz und die Voruntersuchungen stellen Hindernisse dar. Das größte Risiko in einem Tiefengeothermieprojekt birgt die Bohrung. Ist die Tiefenbohrung nicht fündig – kein heißes Wasser wird angetroffen – wurden mehrere Millionen Euro buchstäblich im Boden versenkt. Demnach fordern Branchenvertreter, dass künftig der Staat das Fundrisiko zu 90 Prozent tragen soll. Diese Risikodeckung würde den Finanzzuschuss für Geothermieprojekte ergänzen, der bis anhin maximal 60 Prozent beträgt.

Geothermieanlage in Basel als Leuchtturmprojekt

Dass die Tiefengeothermie in der Schweiz erfolgreich umsetzbar ist, zeigt die Geothermieanlage in Riehen bei Basel. Der Bund habe damals 50 Prozent des Fundrisikos übernommen. Wie erwartet ist heißes Tiefenwasser angetroffen worden und so konnte 1994 die Geothermieanlage erfolgreich in Betrieb genommen werden. Derzeit ist die hydrothermale Anlage in Riehen die einzige ihrer Art in der Schweiz. Doch schon bald soll in der gleichen Gemeinde eine weitere Geothermie-Anlage entstehen. Der Startschuss für das Projekt «Geo2Riehen» fiel im Jahr 2017. Im Jahr 2027 könnte die Anlage in Betrieb gehen. Aber auch in der Schweiz ziehen sich Bewilligungsprozesse und tragen dazu bei, dass sich die Umsetzung von Tiefengeothermieprojekte über mehrere Jahre schleppen.

Geothermie als Stromproduzent

Neben Wärme kann die Geothermie auch grünen Strom erzeugen. Erreichen die Temperaturen über 110 Grad Celsius lässt sich mit einer geothermischen Anlage zusätzlich auch Strom produzieren. Um diese Temperaturen zu erreichen, müssen Erdschichten jenseits von 3000 Metern erschlossen werden. Selten sind hier wasserführende Schichten anzutreffen, die für eine hydrothermale Geothermie erforderlich sind. So zum Beispiel die Tiefenbohrung in Lavey-les-Bains: Sie erreichte zwar erfolgreich die geplante Tiefe von 3000 Metern und sogar die Temperatur war höher als erwartet. Doch für eine geothermische Nutzung ist das angetroffene Gestein nicht wasserdurchlässig genug. In solch einem Fall müsse man das Gestein hydraulisch stimulieren. Die Injektion von Wasser soll Risse im Gestein weiten, um dieses wasserdurchlässiger zu machen. Diese Technologie ist als Enhanced Geothermal System (EGS) bekannt. Das Verfahren wurde in den Jahren 2006 und 2013 in Basel und St. Gallen angewendet, als heißes, trockenes, undurchlässiges Gestein angetroffen wurde. Um ein künstliches geothermisches Reservoir zu schaffen, wurde das Gestein hydraulisch stimuliert. Als die Stimulationen jedoch kleinere Erdbeben auslösten, mussten die Pläne aufgegeben werden. So wird derzeit in der Schweiz noch keine Elektrizität aus Erdwärme erzeugt. Doch das Potenzial für die Stromerzeugung ist riesig - hier braucht es in der Schweiz noch erfolgreiche Pilotprojekte. Ein Pilotprojekt soll demnächst bei Haute-Sorne im Kanton Jura starten. Die Bohrung soll bis in Tiefen von vier bis fünf Kilometer abgeteuft werden. Zunächst zur Erkundung des Untergrunds. Doch es soll auch eine hydraulische Stimulation des Gesteins vorgenommen werden. Das Risiko für Mikrobeben wurde gesondert untersucht und die Technik der horizontalen Bohrung wird derzeit erforscht.

So mache zwar die Bohrtechnik große Fortschritte doch die Akzeptanz für die Technologie wächst nicht mit. Die Tiefe Geothermie tut sich schwer in der Schweiz. Nathalie Andenmatten Berthoud, die bis Ende September Präsidentin des Branchenverbands Geothermie Schweiz war, betont: «Die Technik für die Wärmenutzung ist reif – nur die Schweiz ist noch nicht so weit». Demnach konzentriert sich die Schweiz darauf ihr Potenzial der mitteltiefen Geothermie weiter auszubauen.

 

 

Quelle:

NZZ; SWI