Frankreichs langer Weg zur Energiewende und die Rolle der tiefen Geothermie

Thema im Fokus 8-2018
Die Aufmerksamkeit war groß, als Frankreichs Nationalversammlung im Sommer 2015 das Reformgesetz zur nationalen Energiewende beschloss. Der seinerzeit verabschiedete Zehnjahresplan sah vor, mehr Strom aus regenerativen Energiequellen zu produzieren und somit den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu senken. Doch der Ausbau des Erneuerbare-Energien-Sektors geht nur langsam voran.

Der bisherige Erfolg des Gesetzes wird kontrovers diskutiert. Frankreich hatte sich das Ziel gesetzt, bis 2020 mehr als ein Fünftel seiner Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen bereit zu stellen. Doch der Regierung fehlte es bislang an wirklichen Visionen zur Umsetzung des ambitionierten Vorhabens.
Genauso wie Deutschland wird Frankreich dieses Jahr seine Klimaziele verfehlen, auch wenn der Nachbar Deutschland bereits „von der Spitzenposition des attraktivsten Marktes für Investitionen in erneuerbare Energien“ auf den zweiten Platz verdrängt hat, wie das Handelsblatt und der Allianz Climate & Energy Monitor 2018 es diese Woche skizzierten.

Atomkraft soll bis 2035 noch die Hälfte zum Energiemix beitragen
Noch lange will Frankreich an der Atomenergie festhalten. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat am 27. November 2018 in seiner großen Rede zur Energiepolitik und zur Erklärung, seine ältesten Reaktoren in Fessenheim (Elsass) 2020 endgültig still zu legen, noch einmal ausdrücklich betont, dass das Land weiter auf Atomkraft setzen wird, denn diese sei karbonfrei, billig und könne nicht schnell ersetzt werden. Bis 2035 soll ihr Anteil im Energiemix erst auf 50 Prozent reduziert werden. Damit seien 14 Reaktoren (jeder Vierte) zur Abschaltung vorgesehen. Von einem kompletten Atomausstieg ist bislang noch nicht die Rede.

Dennoch gelten die erneuerbaren Energien als zukunftsträchtiger Markt in Frankreich. Macron hatte in seiner Rede zugesichert, die staatliche Förderung auf sieben Milliarden Euro pro Jahr aufzustocken und den Markt für erneuerbare Energien damit zu stärken.

Vielversprechendes Potenzial für die Geothermie in Frankreich
Dies könnte sich auch positiv für die tiefe Geothermie in Frankreich auswirken. Seit Jahren erfährt der Markt einen Zuwachs (wir berichteten). Die geologischen Voraussetzungen sind vielversprechend. Der Markt könnte aber intensiver erschlossen werden, als es derzeit geschieht, wie Jean-Jacques Graff, der Präsident der AFPG (Association Française des Professionnels de la Géothermie) und Geschäftsführer von ÉS Géothermie in einem Interview mit Enerchange erläutert.

Verstärktes kommunales Interesse an Geothermie zur Fernwärmeversorgung – geothermische Kraftwerke vor allem im Elsass und im Rhônegraben
In vielen französischen Kommunen sieht Graff ein verstärktes Interesse daran, die Fernwärmeversorgung auf regenerative Quellen umzustellen. Noch würden nur ein bis zwei Projekte jährlich umgesetzt, doch in Bordeaux und im Pariser Becken seien sehr interessante Projekte in der Entwicklung. In Hauts de France gebe es auch Verbindungen zu den belgischen Geothermieaquiferen.

In Frankreich ist die tiefe Geothermie in Nieder- und Hochtemperatur-Aufsuchungslizenzen aufgeteilt. Die oben genannten Fernwärmeprojekte spielen sich alle im Niedertemperatur-Bereich ab. Für Hochtemperatur-Aufsuchungslizenzen sind das Elsass und der Rhônegraben besonders interessant. Aber auch im Massiv Central und im Vorlandbecken der Pyrenäen gibt es Aufsuchungsgebiete.

„Am weitesten fortgeschritten sind in der tiefen Geothermie sicherlich die Projekte im Elsass“, beschreibt Graff die aktuelle Situation. „Hier gibt es auf Grund der Erdöl- und Erdgasexploration eine sehr gute Datengrundlage.“

Stabiler Einspeisetarif bis hundert Megawatt elektrischer Leistung
Das noch unter der vorherigen Umweltministerin Ségolène Royale verabschiedete Einspeisegesetz für Strom aus Geothermiekraftwerken sieht einen Einspeisetarif von 24,6 Cent pro Kilowattstunde vor. Dieser gilt ohne Degression, bis eine genehmigte Leistung von hundert Megawatt erreicht ist, und wird einem Projekt bereits mit der Erteilung der Aufsuchungslizenz zugesichert.

Weitere Unterstützung für die Geothermiebranche in Frankreich soll ein Risikoabsicherungsfonds bieten, der aktuell verhandelt wird. Dieser geologische Garantie-Fonds versichert Temperatur und Durchfluss auf bis zu 60 Prozent der Kosten. „Eine solche Risikoabsicherung wurde 1980 für das Pariser Becken aufgebaut“, berichtet AFPG-Präsident Graff. „Sie war erfolgreich, denn daraus haben sich mehr als 40 Projekte entwickelt.“

Stabile Unterstützung aus der Politik auch nach dem Regierungswechsel
Auch unter dem seit anderthalb Jahren im Amt befindlichen Präsidenten Macron sieht Graff weiterhin positive Unterstützung für die Geothermie. So sei die französische Umweltentwicklungsagentur ADEME (Agence du développement et de la maîtrise de l’énergie) sehr an der Geothermie interessiert. Sie habe für die Begleitung und Kommunikation von geothermischen Projekten die Einstellung von zwölf Mitarbeiter angekündigt und einen Wärmenutzungsfonds (Fonds Chaleur) aufgesetzt. Dieser unterstützt geothermische Wärmeprojekte mit einer Übernahme von 35 bis 70 Prozent der Kosten ab der Pre-Feasibility-Studie.

Ein wichtiges Thema sei aktuell die Abschaffung der Unterscheidung zwischen Hochtemperatur- und Niedertemperatur-Lizenzen. In Zukunft solle erst mit der Fündigkeit eine entsprechende Konzession vergeben werden, ohne im Vorhinein die Aufsuchung einzuschränken.

„Die Politik hat eigentlich bisher ihre Hausaufgaben gemacht“, konstatiert Graff. „Jetzt liegt es an der geothermischen Industrie, das Vertrauen, das die Politik mit der Riskoabsicherung und der Einspeisevergütung geschaffen hat, mit Erfolgen und einer raschen Entwicklung der Geothermie zurückzuzahlen.“

Elsass ist Motor der Entwicklung
Für die Zukunft der Geothermie in Frankreich ist Jean-Jacques Graff zuversichtlich. Das Elsass werde Motor der Entwicklung sein, eine Abschätzung habe allein dort ein Potenzial von bis zu 50 Geothermiekraftwerken mit insgesamt 250 Megawatt elektrischer Leistung ergeben.

Aktuell in der Umsetzung sind zwei Projekte im Nordelsass. In Vendenheim teuft die Firma Fonroche mit einem eigenen Bohrgerät gerade die zweite fünf Kilometer tiefe Bohrung ab. In Illkirch-Grafenstaden ist ÉS Géothermie mit der ersten Bohrung bereits auf 3.600 Meter Tiefe angelangt (Anm. d. Redaktion: Stand 9. November 2018).

„Sind diese Projekte erfolgreich, wird sich der Markt neu aufstellen“, schließt Graff. „Ich gehe davon aus, dass die tiefe Geothermie im französischen Teil des Oberrheingrabens auch für Investoren interessant wird.“ (sv/js/kj)

Das gesamte Interview im Wortlaut finden Sie hier.