1. Sie haben für Ihr Konzeptpapier „Die Wärmezielscheibe“ aufgezeigt, wie eine zu hundert Prozent regenerative Wärmeversorgung bis 2050 umsetzbar sein kann. Dafür haben Sie den Wärmebedarf verschiedener Besiedelungstypen analysiert. Wie hängen diese beiden Parameter miteinander zusammen und was bedeutet das für den CO2-Ausstoß?
Entscheidungsträger auf lokaler, kommunaler und nationaler Ebene werden mit dem Problem konfrontiert, Strategien für den Wärmemarkt als Ganzes entwickeln zu müssen. Im Rahmen der Erarbeitung der Wärmezielscheibe wurde uns aber immer deutlicher, dass ein „One-Fits-All-Konzept“ im Wärmemarkt nicht sinnvoll und die aktuell von der Politik verfolgte „Technologieoffenheit“ in der Energiepolitik beim Wärmemarkt nicht effizient genug ist. Aufgrund der vorhandenen Heterogenität des Wärmemarktes müssen effiziente Handlungsstrategien anhand von nachvollziehbaren Kriterien hergeleitet werden. Dazu haben wir uns an der Wärmedichte, also dem Wärmebedarf pro Fläche, orientiert und die drei wärmespezifischen Urbanitätsgrade - dicht, mittel und dünn besiedelte Gebiete - identifiziert. Die höchsten Wärmedichten weisen die dicht besiedelten Gebiete, zu denen urbane Ballungszentren, Industriegebiete oder große Wohnkomplexe zählen, auf. Entsprechend dem hohen Wärmebedarf ist auch die CO2-Intensität in diesem Bereich am höchsten.
Verteilung der Siedlungsflächen und der für sie spezifischen CO2-Emissionen (Quelle: Rödl & Partner)
2. Wie sieht eine Umsetzung aus wirtschaftlicher Sicht aus, wie werden die regenerativen Anlagen finanziert? Bzw. welche rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sind für die Wärmewende notwendig?
Die Investitionen in die Energieversorgung sind mit langen Nutzungsdauern verbunden und müssen deshalb langfristig finanziert werden. Versorger haben den Handlungsbedarf bereits erkannt, scheuen allerdings die Umsetzung von Großprojekten, die langfristige Auswirkungen haben. Um solche weitreichenden Entscheidungen zu treffen, brauchen die Entscheider klare rechtliche Rahmenbedingungen und fördernde Maßnahmen von Seiten der Politik. Um die Klimaziele zu erreichen sind nach unserer Meinung klare politische Vorgaben notwendig. Dies bedeutet auch finanzielle Anreize, wie zum Beispiel die zielführende Umgestaltung von Investitionszuschüssen, Anpassungen der langfristigen Fördermaßnahmen (EEG, KWKG), zinsgünstige Kredite, Tilgungszuschüsse oder Kredite mit bedingten Tilgungszuschüssen. Letztlich kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Politik im Bereich Wärme deutlichen Nachholbedarf besitzt, denn immerhin entstehen im Wärmebereich über die Hälfte der CO2-Emissionen in Deutschland.
3. Was schließen Sie daraus für die verschiedenen Technologien zur Wärmeerzeugung und insbesondere für die Rolle der Tiefengeothermie?
Gerade Technologien, die eine regionale Wertschöpfung zulassen, müssen in den Fokus rücken. Neben der Tiefengeothermie ist unter anderem auch die Nutzung von industrieller Abwärme aufzuführen. Um das Geschäftsmodell der Energiewirtschaft nach der Umsetzung der Dekarbonisierung zu stabilisieren, müssen die Geldströme, die aktuell für fossile Energieimporte ins Ausland abfließen, zukünftig auf lokaler oder kommunaler Ebene bleiben. Die Tiefengeothermie sticht hier positiv ins Auge: Sie ist dezentral und hat vergleichsweise geringe laufende Kosten. Für die Zielerreichung der dekarbonisierten Wärmeversorgung in Deutschland muss sie in dicht besiedelten Gebieten ausgebaut werden und einen höheren Stellenwert einnehmen. In einer dekarbonisierten Wärmewirtschaft wird ein höherer Teil des Haushaltseinkommens für Wärme zur Verfügung gestellt. Dadurch gelangen heute noch unwirtschaftliche Technologien, wie Hot Dry Rock oder tiefe Sondensysteme, in den Bereich der Wirtschaftlichkeit. Ein Ziel der politischen Steuerung muss daher auch sein, alle großtechnischen Möglichkeiten der Erdwärmenutzung möglichst schnell zur Marktreife zu bringen.
4. Welches ist dabei die Technologie mit den geringsten Wärmegestehungskosten?
Letztlich liegen die Technologien ohne variable Brennstoffkosten, wie Solarthermie, Abwärmenutzung und Tiefengeothermie langfristig vorne. Eine pauschale Beantwortung dieser Frage ist jedoch nicht ohne weiteres möglich, da unter anderem die bereits angesprochene Heterogenität des Wärmemarktes und die politischen Rahmenbedingungen einen Vergleich erschweren. Vielmehr müssen die vor Ort zur Verfügung stehenden Technologien analysiert werden, sodass nur die sinnvollen und passenden Technologien in den verschiedenen Urbanitätsgraden zum Einsatz kommen und ein übergeordnetes Gesamtbild ergeben.
Je nach Siedlungstyp sind unterschiedliche Technologien sinnvoll (Quelle: Rödl & Partner)
5. Häufig wird der Einsatz von Biomasse als Alternative bei Fernwärmenetzen gesehen, warum sehen Sie die Tiefengeothermie vorne?
Tatsächlich planen aktuell die meisten großen Fernwärmeversorger eine Einbindung von fester Biomasse in den Erzeugungspark. Langfristig wird gemäß den Ergebnissen unserer Analysen jedoch alle geeignete Biomasse im Mobilitätsbereich benötigt. Die Nutzung von Biomasse für Wärmebereitstellung verursacht zudem zusätzlichen Mobilitätsbedarf für Anlieferung und Beschickung, für den die CO2-freien Alternativen rar sind. Dieser Mehraufwand sowie die Brennstoffkosten stellen einen Mittelabfluss für die Versorger dar. Diese Nachteile sehen wir bei der Tiefengeothermie nicht.
6. Wie sollen Versorger die Umstellung gestalten?
Wir zeigen im Rahmen der Wärmezielscheibe einen 9-stufigen Transformationsprozess für Versorger auf, der die Herausforderungen der Dekarbonisierung in nachhaltige Unternehmensstrategien überführt. Der zentrale Aspekt der Transformation ist dabei der Wärmebereich, da dieser über das Potenzial verfügt, die wegfallenden Ergebnisbeiträge der fossilen Energieträger auszugleichen. Die frühzeitige Einstellung auf eine dekarbonisierte Wärmewirtschaft sichert den Versorgern wichtige Wettbewerbsvorteile.
7. Wie kann eine Dekarbonisierung der Wärmeproduktion in Deutschland besonders schnell umgesetzt werden?
Eine schnelle und effiziente Dekarbonisierung kann durch eine zielgerichtete Priorisierung des Wärmebereiches gelingen. Innerhalb der Wärmeversorgung können die Maßnahmen anhand der Wärmezielscheibe eingeordnet werden. Im Mittelpunkt der Zielscheibe stehen die dicht besiedelten Gebiete, die die höchste Wärmedichte und den geringsten Flächenbedarf aufweisen und außerdem in den nächsten 30 Jahren mehr als 50 Prozent des Wärmebedarfes in Deutschland ausmachen. Hier ist nach unserer Einschätzung ein gezielter Ausbau der Fernwärmeversorgung notwendig, um auf einen leistungsstarken regenerativen Erzeugungsmix zurückgreifen zu können. Hier spielt auch die hocheffiziente KWK eine Rolle, perspektivisch auf Grundlage erneuerbarer bzw. synthetischer Gase. Durch die dichte Besiedelung dieser Gebiete sind eine Reihe von wichtigen CO2-freien Wärme-Technologien, wie die Solarthermie oder die oberflächennahe Geothermie, aufgrund der geringen Flächenverfügbarkeit dort nicht die optimalen Lösungen. Diese Technologien eigen sich jedoch besonders für dünn und mittel besiedelte Bereiche, die nach unseren Schätzungen sogar ein in Summe höheres Marktvolumen aufweisen.
Eine wichtige Grundlage für eine regenerative Wärmeversorgung ist die deutliche Erhöhung der Effizienz: Von insgesamt 840 Terrawattstunden (2020, links) muss der Energieverbrauch bis 2050 auf 425 TWh (rechts) jährlich sinken. (Quelle: Rödl & Partner)
8. Welche Markthemmnisse stehen heute einer regenerativen Vollversorgung im Wege und wie kann man damit umgehen?
Vor allem in dicht besiedelten Gebieten stehen hohe Investitionen für den Netzausbau an. Die hohen Wärmedichten erfordern ein leistungsstarkes Verteilnetz und effiziente Gebäude. Neben den fehlenden politischen Vorgaben stellen die auseinandergehenden Laufzeit- und Renditeforderungen bei Abwärmeprojekten und die Unsicherheit bei der Fündigkeitsprognose bei Tiefengeothermieprojekten bei den Entscheidungsträgern der beteiligten Versorger und möglichen Investoren ein Hemmnis dar. Weiterhin werden die öffentlich zugänglichen Heizkostenvergleiche oftmals nur auf Basis der Brennstoffkosten (Erdgas und Heizöl) durchgeführt, ohne die Investitions-, Wartungs- und weiteren Betriebskosten zu betrachten. Für eine korrekte und umfassende Bewertung müssen alle Kosten der Heizsysteme erfasst und somit ein Vollkostenvergleich durchgeführt werden. Letztlich ist trotz des steigenden Umweltbewusstseins der Bevölkerung das Wissen über die Alternativen zu Gas und Öl zu gering verbreitet. Auch aus diesem Grund haben wir das Netzwerk Wärmewende gegründet, das einen interaktiven Austausch zwischen Praxispartnern ermöglicht und so den Transformationsprozess aktiv mitgestaltet. Wir laden auch alle interessierten Leserinnen und Leser, natürlich auch aus dem Bereich oberfächennahen und tiefen Geothermie, ein, Teil des Netzwerks zu werden.
Linktipp:
Unter www.netzwerk-waermewende.de sind weitere Informationen zum „Netzwerk Wärmewende“ verfügbar. So können Interessenten dort an einer Umfrage zur Gestaltung zukünftiger Termine teilnehmen und die Veröffentlichung „Die Wärmezielscheibe - Wärmewende in Deutschland erfolgreich gestalten“ herunterladen.