Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage (KWK) in Neustadt-Glewe ist das erste Geothermie-Heizkraftwerk in Deutschland. Im kommenden Jahr kann der Betrieb sein 15-jähriges Jubiläum feiern, denn seit 1995 liefert die Anlage eine Spitzenleistung von 11 MWth an ein Fernwärmenetz. Damit auch im Sommer und in der Übergangszeit die Anlage ausgelastet ist, wurde 2003 der Betrieb einer ORC-Anlage (Organic Rankine Cycle) zur Stromproduktion aufgenommen. Der Ausbau der Anlage ist bereits in Planung. Die Betriebserfahrungen von Neustadt-Glewe zeigen, dass in Deutschland und vor allem im Norddeutschen Becken ausreichend geologisches Potential vorhanden ist, um selbst bei relativ niedrigen Temperaturen eine Geothermieanlage erfolgreich zu realisieren.
Nachdem die Bohrungen in den Jahren 1988 und 1989 in Tiefen zwischen 2.250 und 2.335 Metern etwa 100°C heißes hochsalinares Thermalwasser erschlossen haben, wurde nach der Wiedervereinigung 1993 die vorhandenen Bohrungen weiter ausgebaut und für Neustadt-Glewe eine überarbeitete Anlagenkonzeption verwirklicht. Nach Errichtung des Heizwerkes ging die Anlage 1995 in Betrieb. Die Förder- und Injektionsbohrung liegen 1,4 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Abhängig vom Wärmebedarf des Abnehmersystems fördert eine Tauchkreiselpumpe zwischen 11 und 33 L/s. Die Temperatur der geförderten Sole beträgt konstant 97°C. In einem Wärmetauscher wird dem Thermalwasser die Wärme entzogen und in das Fernwärmenetz eingespeist. Nach der Wärmeauskopplung wird das Wasser mit noch 50°C in die ursprüngliche Förderschicht reinjiziert. Von der Spitzenleistung 11 MWth sind 4,5 MW geothermisch, die restlichen 6,5 MW werden über einen Gaskessel erzeugt. "Allein durch die 4,5 MW decken wir 95 Prozent des gesamten Wärmebedarfs der Abnehmer ab", so Torsten Hinrichs, Geschäftsführer der Bertreibergesellschaft Erdwärme Neustadt-Glewe GmbH. Die Novellierung des EEG vom 29.03.2000 und die hierin festgelegten Einspeisevergütungen eröffneten zusätzlich die Möglichkeit für eine wirtschaftliche Stromproduktion. 2003 wurde der Betrieb einer ORC-Anlage aufgenommen, um in Zeiten geringen Wärmebedarfs im Fernwärmenetz, den Wärmeüberschuss zur Stromerzeugung zu verwenden. Die elektrische Leistung liegt bei 230 KW. Die Anlage ist jedoch weiterhin Wärme-geführt, sodass die Wärmeversorgung im Vordergrund steht. Bei Spitzenwärmebedarf in Wintermonaten wird die Stromerzeugung kurzzeitig ganz eingestellt.
Im Zeitrahmen von 1992 bis März 2009 beliefen sich die Investitionen für das Heizwerk und das Heiznetz bereits auf 10,8 Mio Euro. Die höchsten Investition lagen in der Anlagentechnik Obertage (3,2 Mio Euro), der Erschließung von Gebäuden und Grundstücken für die Wärmeversorgung (1,8 Mio Euro) sowie in Bohrungen und technischen Ausrüstungen (1,7 Mio Euro). Die Finanzierung erfolgte zu 50 Prozent über Kredite, zu 50 Prozent über öffentliche Zuwendungen.
Im Langzeitbetrieb erwies sich bislang insbesondere die sehr hohe Mineralisation der Thermalsole als problematisch. Der Salzgehalt des Thermalsole in Neustadt-Glewe liegt bei 220 g/l, was für Wässer im Norddeutschen Becken nicht ungewöhnlich ist. Je nach Tiefenlage und Schicht kann der Salzgehalt hier zwischen 80 und 350 g/l betragen. (Zum Vergleich: Meerwasser enthält durchschnittlich 35 g/l.) Dieser Salzgehalt erfordert eine besondere Korrosionsfestigkeit der Anlage. Aufgrund der hohen Mineralisation der Thermalsole kam es in Neustadt-Glewe zur partiellen Korrosion an der Tauchkreiselpumpe, was zum Jahreswechsel 2000/2001 einen Anlagenausfall verursachte. "Sicherlich könnten wir mittlerweile im werkstofftechnischen Bereich bessere Anpassungen vornehmen. Eine neue Anlage in Neustadt-Glewe würde allerdings der jetzigen sehr ähneln. Die lange Laufzeit beweist, dass wir in punkto Anlagenbau vieles richtig gemacht haben", so Torsten Hinrichs rückblickend.
Zahlreiche Kritiker, die sich anfanglänglich gegen das Heizwerk ausgesprochen hätten, seien durch den erfolgreichen und stabilen Betrieb eines Besseren belehrt worden, erläutert Hinrichs weiter. So konnte bereits ab April das Wärmenetz ausgebaut und mit der Erschließung des Altstadtgebiets in Neustadt-Glewe begonnen werden. Die Herausforderungen im innerstädtischen Bereich liegen insbesondere darin, auf den Bautenschutz zu achten und ausreichend Platz für die Verlegung der Wärmeleitungen vorzufinden. "Die größte technische Herausforderung beim Anschluss des Altstadtgebiets an das bestehende Wärmesystem lag in der Querung der Müritz-Elde-Wasserstraße. Am 12. November ist es jedoch gelungen, die Schutzrohre unter das Gewässer einzuziehen", erklärt Hinrichs. Mittelfristig soll das gesamte Altstadtgebiet von Neustadt-Glewe erschlossen und mit geothermischer Wärme versorgt werden. Derzeit beziehen 235 Gebäude Wärme von der KWK-Anlage. Hauptabnehmer sind in der strukturschwachen Region vor allem Einfamilienhäuser sowie kommunaler Wohnungsbau und städtische Gebäude. Die Kosten für die Erschließung belaufen sich auf rund 1,3 Mio. Euro. Vorausschauend meint Hinrichs weiter: "Wir halten die Anlage für so vertrauenswürdig, dass eine Erweiterung eine sichere Investition für die Zukunft darstellt." Ab 2010 soll in Neustadt-Glewe mit den Planungen zur Erweiterung des geothermischen Gewinnungssystems begonnen werden.
Erfahrungen und die Anforderungen an den Betrieb von Geothermieanlagen ist auch ein Schwerpunktthema auf der 6. Internationalen Geothermiekonferenz, die vom 19. bis 20. Mai 2010 in Freiburg stattfindet. Weitere Informationen zur Konferenz und die Möglichkeit, sich online anzumelden finden Sie unter www.geothermiekonferenz.de
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Zusätzliche Information:
Die geothermische Anlage in Neustadt-Glewe wird von zwei Unternehmen genutzt: der Erdwärme Neustadt-Glewe GmbH und der Erdwärme-Kraft GbR. Die Erdwärme Neustadt-Glewe GmbH wurde 1992 als Betreibergesellschaft zur Projektrealisierung gegründet. Das Unternehmen ist für die Fernwärmeversorgung zuständig. An dem Unternehmen beteiligt sind: die Stadt Neustadt-Glewe (47%), die Geothermie Neubrandenburg GmbH (8%) sowie die MEA Energieagentur Mecklenburg-Vorpommern GmbH. Die MEA Energieagentur ist ein Tochterunternehmen des regionalen Versorgerunternehmens WEMAG AG. Die WEMAG AG ist für die kaufmännische und technische Betriebsführung verantwortlich. Die Verantwortung für die Stromproduktion liegt dagegen bei der Erdwärme-Kraft GbR. Deren Gesellschafter sind: Vattenfall Europe Berlin AG & Co.KG 94,26% und WEMAG AG Schwerin 5,74%. Wissenschaftlich hat die Inbetriebnahme des geothermischen Kraftwerks das GeoForschungszentrum Potsdam (GFZ) begleitet. Finanziert wurde das Pilotprojekt durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT), das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Hamburgischen Electicitäts-Werke AG (HEW). Fördermittel stellte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zur Verfügung.
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