Symposium Niedertemperatur-Verstromung in Industrie und Geothermie

Thema im Fokus 09-2012 | Enerchange

Wärmequellen mit mittlerer und niederer Temperatur werden in Deutschland bislang nur ungenügend ausgebeutet. Dies gilt sowohl für Abwärme in industriellen Prozessen als auch für die Wärme aus geothermischen Quellen. Die nach wie vor etablierteste Technik zur Verstromung dieser Wärme ist die ORC-Technologie. Trotz großer Potentiale in der Industrie – Experten gehen von fünf Gigawatt aus - ist die Stromerzeugung in der tiefen Geothermie das nach wie vor wichtigste Anwendungsgebiet für ORC-Anlagen. Dies wurde im Rahmen des Symposiums  „Nutzung von Niedertemperatur-Wärme mit ORC- und Kalina-Prozess“ deutlich, das kürzlich im TWK Test- und Weiterbildungszentrum Wärmepumpen und Kältetechnik in Karlsruhe stattfand und einen Überblick über die Anwendungen und aktuelle Entwicklungen der Niedertemperaturverstromung gab.

Gleich zu Beginn stellt Dr. Jörg Baumgärtner von Bestec die Geothermieanlage in Landau vor und betonte in seinem Vortrag, dass eines der größten Probleme für Kraftwerke mit geothermischer Nutzung nach seiner Erfahrung im Moment die Genehmigung der ORC-Anlage sei. Seiner Einschätzung nach liegt dies vor allem daran, dass es bei den Behörden keine klare Zuständigkeit gibt und es an Erfahrung mit geothermisch betriebenen ORC-Anlagen mangelt. Ein weiteres wichtiges Thema ist laut Baumgärtner das Arbeitsmedium im ORC-Kreislauf: Die Brennbarkeit der üblicherweise eingesetzten Kohlenwasserstoffe hätte zum Beispiel dazu geführt, dass der Betreiber des Kraftwerks in Landau die Feuerwehr habe nachrüsten müssen, weil sie für einen möglichen Schadensfall im Kraftwerk nicht entsprechend ausgerüstet war. Der Vorteil des in Landau eingesetzten Isopentans ist ein Ozone Depletion Potential (ODP) von null. Demgegenüber stehen die unbrennbaren Kältemittel, wie zum Beispiel R-245fa, die aber einen hohen ODP aufweisen. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass ein Vertreter von DuPont auf die Neuentwicklung eines nicht-brennbaren Arbeitsmediums verwies, das ebenfalls ein ODP von null hat.

Ebenfalls diskutiert wurde der Einsatz der Kalina-Technologie in der Niedertemperaturverstromung. Hanna Mergener von der EnBW Energie Baden-Württemberg sprach über die Erfahrungen in den beiden Kraftwerken Bruchsal und Soultz-sous-Forêts, an denen die EnBW beteiligt ist. In Ihrem Vortrag verwies sie darauf, dass die beiden Anlagen sich allein schon auf Grund der Temperaturen deutlich unterscheiden, was Auswirkungen auf die Effizienz hat. In Soultz-sous-Forêts ist die Eingangstemperatur 175 Grad Celsius und die genutzte Temperatur beträgt ca. 95 Grad Kelvin, während in Bruchsal das Thermalwasser von 123 Grad Celsius um ca. 60 Grad Kelvin ausgekühlt wird, (seit zwei Monaten auch unter realen Betriebsbedingungen). Die beiden Anlagen unterscheiden sich aber auch in den Arbeitsmedien: Während in Soultz-sous-Forêts Isobutan eingesetzt wird, ist das Arbeitsmedium in Bruchsal ein so genanntes zeotropes Zweistoffsystem mit Ammoniak und Wasser. Das zeotrope Zweistoffgemisch hat den Vorteil, dass es über die Konzentration der beiden Stoffe optimal an die Wärmequelle angepasst werden kann. Als zeotrop wird ein Gemisch von zwei  chemischen Stoffen bezeichnet, das im Dampf-Flüssigkeits-Gleichgewicht immer eine unterschiedliche Zusammensetzung hat. In ihrer weiteren Betrachtung ging Mergener auch auf verschiedene zeotrope Arbeitsmedien für den Einsatz in ORC-Anlagen ein und verdeutlichte, dass ab einer Temperatur von 120 Grad Celsius deutliche Effizienzunterschiede im elektrischen Wirkungsgrad zu erwarten sind.

Die Hersteller von ORC-Anlagen stellten die weiteren Optimierungs-Möglichkeiten vor. So ging Dr.-Ing. Ulli Drescher von GMK in Rostock auf die Möglichkeit eines zweistufigen ORC-Prozesses ein, der momentan von Turboden für das Kraftwerk in Sauerlach gebaut wird und die Leistung der Anlage deutlich verbessern kann. Nach Aussage Dreschers ist eine Leistungssteigerung um bis zu 20 Prozent möglich, abhängig  von den entsprechenden Rahmenbedingungen. In seinem Beitrag kritisierte er, wie auch andere Redner der Veranstaltung, die Diskussion um den Wirkungsgrad. Hier handele es sich um einen theoretischen Wert, der bei kostenfreiem Brennstoff ohne eigentliche Bedeutung sei. Letztendlich zähle am Ende das, was an Kilowattstunden produziert werde.

Cryostar ist dank seines langjährigen Know-how bei der Entwicklung von Turbinen schon in vielen geothermischen Projekten beteiligt. Robert-Gilles Entlesberger ging in seinem Vortrag auf die Möglichkeiten der Optimierung durch Verwendung eines superkritischen Kreislaufs im Kraftwerks-Prozess ein, bei dem die Anlage mit einem höheren Druck gefahren wird. In der Wahl des Arbeitsmediums ist Cryostar hierbei grundsätzlich unabhängig, jedoch muss jede Anlagen auf die individuellen Rahmenbedingungen vor Ort angepasst werden. Zusammen mit dem Mutterkonzern, der Linde AG, bietet Cryostar inzwischen den Bau von Kraftwerken als Generalunternehmer an, wie zum Beispiel in Kirchweidach oder Brühl, wobei der Ingenieurteil bei Cryostar liegt.

Einmal mehr wurde in dem Vortrag von Entlesberger deutlich, dass für die Niedertemperaturverstromung auch außerhalb der Geothermie interessante Anwendungsbereiche gibt. Diese verdeutlichten vor allem Dr.-Ing. Armin Hafner vom norwegischen Forschungsinstitut Sintef und Gerhard Heidt vom HeidelbergerCement Technology Center. Hafner ging dabei zum Beispiel auf die Nutzung von Kohlendioxid als Arbeitsmedium in ORC-Anlagen ein und auf ORC-Anlagen, die auf Ölbohrinseln zum Einsatz kommen. Hier stehen vor allem ein nicht brennbares Arbeitsmedium und ein möglichst unterbrechungsfreier Betrieb für die Stromversorgung der Bohrinsel im Vordergrund. Zu den weiteren ORC-Anwendungsbereichen zählen die Energiegewinnung aus dem Abgas der Aluminiumindustrie und der Frachtschiffe, die mit Liquid Natural Gas anstatt Schweröl betrieben werden. Auch zur Abgasnutzung bei Trucks gab es in den 1990er Jahren in den USA schon einmal interessante Forschung, die jedoch durch unter der republikanischen US-Regierung wieder eingestellt  wurde.

Großes Potenzial haben ORC-Anlagen insbesondere in der Zementindustrie. Gerhard Heidt von HeidelbergerCement berichtete über das Zementwerk Lengfurt in Franken, in dem im Rahmen eines BMU-Projektes, vor 12 Jahren eine ORC-Anlage mit 1,15 MW Bruttostromleistung für die Nutzung der Abwärme installiert wurde. Über Wärmetauscher wird dort die 250 Grad Celsius heiße Abluft auf ein als Arbeitsmedium dienendes Thermoöl übertragen. Mit der nach Aussage von Heidt pflegeleichten Anlage, die eine Verfügbarkeit von 98 Prozent hat, konnte HeidelbergerCement in dem Werk den Strombezug um rund 11 Prozent reduzieren und gleichzeitig  30 Prozent Kohlendioxid einsparen. Ein weiterer Vorteil von ORC-Analgen ist laut Heidt, dass sie im Teillastbereich besser funktionieren als mit Dampf betriebene Stromgewinnungsanlagen. Während dem großflächigen Einsatz in Deutschland und Europa die nach Angaben von Heidt über achtjährige Amortisationszeit solcher Anlagen im Wege steht, geht in China kein Zementwerk mehr ohne den Einsatz von Niedertemperaturverstromung in Betrieb. Die Abwärmenutzung ist dort gesetzlich vorgeschrieben.

Christian Scholz von Igatec gab abschließend eine Übersicht über 40 Jahre ORC-Technologie. Er stellte die kleineste Anlage mit 4 KW vor, die bei Ölförderanlagen dem kathodischen Korrosionsschutz dient und ging auf die kältesten Anlagen bei der LNG-Verflüssigung ein, die eine Eingangstemperatur von 17 °C hat. In diesem Zusammenhang verdeutlichte er auch, wie sich Ormat in den letzten 40 Jahren von einem Kraftwerksbauer zu einem Energieproduzenten gewandelt hat, mit einem Kraftwerkspark von über 500 MW installierter Leistung – zu über 95 Prozent in der tiefen Geothermie.