Keine Brückentechnologie - Erdgas bremst die Wärmewende aus

Thema im Fokus 2-2021 | Karin Jehle
Heizzentrale Pullach
Wie die Erdgasnutzung die Tiefengeothermie ausbremst, präsentierte Helmut Mangold von der IEP – Innovative Energie für Pullach am 5. Februar 2021 in der Webinar-Reihe „Blickpunkt Geothermie“. Die Aufzeichnung ist jetzt im Enerchange-Kanal auf youtube verfügbar.

Bis 2050 will Europa im Rahmen des Green Deals der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Einen wichtigen Beitrag dafür muss die Wärmewende leisten. Zu Beginn seines Vortrags stellte Helmut Mangold, Geschäftsführer der IEP Pullach, die provokante Frage, ob dieses Ziel überhaupt noch zu erreichen sei. Mit einem „Weiter so“ werde man die globale Herausforderung in jedem Fall nicht meistern, vor allem wenn das Potenzial der Geothermie weiterhin vernachlässigt und ihre Entwicklung an allen Ecken ausgebremst werde.

Denn das Potenzial der Wärme aus der Tiefe ist gewaltig: Sie ist grundlastfähig, bietet die schnellste Möglichkeit zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, senkt CO2-, Feinstaub- und Stickoxidemissionen, lässt die Wertschöpfung in der Region, kann zudem auch noch die Kälteversorgung klimafreundlich gestalten und Regelenergie bereitstellen.

Level Playing Field – Geothermie nicht ausbremsen

Doch immer noch stehen mächtige Interessen der Ausschöpfung dieses Potenzials entgegen. So warnte der künftige Vorstandsvorsitzende der E.on AG, dass die Wärmewende für Mieter*innen in den Altbauten zu teuer zu werden drohe, wenn man die Gebäude saniere. Besser sei es, sie weiterhin mit Gas zu beheizen, das – irgendwann in ferner Zukunft – aus regenerativen Quellen stammen solle, beispielsweise aus grünem Wasserstoff.

Doch das Gegenteil ist der Fall, argumentierte Mangold. Gerade in den Ballungsräumen kann eine geothermal gespeiste Fernwärmeversorgung Mieter*innen langfristig preisstabil mit klimafreundlicher Energie beliefern. Und Erdgas ist mitnichten kostengünstig. Über eine ganze Reihe von Subventionen – von der Förderung für LNG-Terminals und Pipelines bis zur gesetzlichen Privilegierung der Kraft-Wärme-Kopplung – fließen jährlich Milliarden in die Erdgasindustrie und damit nach Russland und in andere nicht unbedingt demokratische Länder.

Im bestehenden Energiesystem hat die regenerative Wärmeerzeugung keine Chance gegenüber der nahezu kostenlosen Kopplungswärme. Gerade in der Fernwärme zementiert die Umstellung von Kohle auf Gas für Jahrzehnte eine klimaschädliche Wärmeversorgung. Mangold sprach von einem dreifachen Lock-in:

• infrastrukturell, denn die Kosten müssen amortisiert werden und die Player sind irgendwann „too big to fail“,

• geopolitisch – getrieben zwischen USA und Russland

• und sozialpolitisch, denn die Wechselkosten trägt der Endkunde, die Marktmacht hat der Anbieter.

Geothermie kann Einzelgebäude, Quartiere und ganze Städte versorgen

Ohne die dargestellte Marktverzerrung wäre die Geothermie heute schon in vielen Fällen günstiger als eine erdgasbasierte Wärmeversorgung. Die tiefe Geothermie kann frei Netz zu Preisen von deutlich unter 30 Euro pro Megawattstunde Wärme liefern. Dies zeigte auch eine Studie der TU München im Auftrag des Bayerischen Wirtschaftsministeriums, die im vergangenen Jahr auf dem Praxisforum Geothermie.Bayern vorgestellt wurde. Woran es hapert, sind zu oft noch die Leitungen, um Fernwärmenetze mit den geothermischen Quellen zu verknüpfen.

Auch in der Kälteversorgung ist die Geothermie preiskompatibel, vor allem bei einer hohen Jahresauslastung. Dem steht jedoch entgegen, dass gerade große Unternehmen von vielen Abgaben, beispielsweise der EEG-Umlage, befreit sind, was elektrische Kompressionskältemaschinen scheinbar kostengünstiger macht. Dies ist eine weitere Marktverzerrung zuungunsten der Geothermie.

Beispiel Bayern: Geothermische Wärmeleistung noch lange nicht ausgelastet

Geothermieanlagen im bayerischen Molassebecken stellen heute schon 323 Megawatt thermischer Leistung bereit. Doch in vielen Fällen werden sie nicht in dem Maße ausgelastet, wie sie könnten. Die IEP Pullach beispielsweise hat ein sehr gut ausgebautes Netz und betreibt ihre Geothermieanlage zur reinen Wärmeerzeugung mit rund 4.000 Volllaststunden jährlich. Dies wird erreicht durch die Grundlastfähigkeit von geothermischen Anlagen, die es ermöglicht, sie rund um die Uhr zu fahren. Die Kapazität würde es jedoch erlauben, noch mehr Wärme zu liefern und mehr Menschen mit klimafreundlicher Wärme bzw. Kälte zu versorgen.

Was fehlt, sind die Leitungen. Bei einem entsprechenden Ausbau von Fernwärme- und Verbindungsleitungen sieht Mangold alleine für den Großraum München ein geothermisches Potenzial von jährlich 6,8 Megawattstunden Wärme. Damit ließen sich eine Million Menschen versorgen. Es bräuchte fünf bis sechs zusätzliche Geothermieanlagen und 30 bis 40 Kilometer Transportleitungen. Dies bestätigt auch die obengenannte Untersuchung der TU München.

Gasinfrastruktur blockiert die Wärmewende

Heute getätigte Investitionen in fossile Infrastrukturen blockieren die Wärmewende auf Jahrzehnte. Und auch für die Investoren sind es letztendlich „stranded assets“ – verlorene Kapitalanlagen, denn die ihnen zugedachten Rohstoffe müssen im Boden bleiben. Es sei zu befürchten, dass die so in den Sand gesetzten Milliarden von Euro wieder einmal an den Steuerzahler*innen hängen bleiben, vermutet Mangold. Analog zum Kohleausstiegsgesetz werde gegebenenfalls ein Erdgasausstiegsgesetz kommen.

Stattdessen ist es dringend notwendig, heute schon die Geldströme umzulenken und das Kapital in den Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere in die regenerative Wärmeerzeugung, zu stecken. Einen wichtigen Beitrag hierzu kann – und muss – die Geothermie leisten. Um die Technologie voranzubringen, gründete Helmut Mangold zusammen mit rund 30 weiteren Anlagenbetreibern, Industrievertetern und Verbänden die Initiative „Wärmewende durch Geothermie“.

Geothermie – besonders stark im Mix verschiedener erneuerbarer Energien

In der anschließenden Diskussion bekräftigte Mangold, dass es für eine Klimaneutralität in Deutschland auf jeden Fall einen Mix verschiedener regenerativer Energiequellen braucht, angepasst an die jeweiligen Verhältnisse vor Ort. Aber gerade in den Ballungsräumen bei bestehenden Fernwärmenetzen kann die Tiefengeothermie eine unvergleichlich schnelle Lösung anbieten. Dreckige Energieträger raus, saubere Energieträger rein – und schon sind komplette Quartiere dekarbonisiert, unabhängig vom Sanierungszustand der Gebäude.

„Mir ist alles recht, was erneuerbare Energie ist, auch der Wasserstoff“, sagte Mangold. „Ich befürchte aber, dass die benötigte Menge an grünem Strom 2050 bei weitem nicht zur Verfügung stehen und dann in der Wüste produziert wird. Dort siedelt sich dann aber auch die Industrie an. Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende lokal passiert, wir haben die Mittel selbst in der Hand. Wir brauchen ein Level Playing Field und das ist ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen.“

Ein bis zwei Milliarden Euro jährlich braucht es nach Mangolds Einschätzung für Investitionen, beispielsweise in Wärmeleitungen und Geothermiebohrungen. Dann kann die Geothermie bis 2040 ihr Potenzial ausschöpfen und Erdgas komplett ersetzen.

Die Aufzeichnung des Webinars ist auf dem youtube-Kanal von Enerchange zu finden. Weitere Informationen zu der Webinarreihe "Blickpunkt Geothermie" und dem aktuellen Webinar, finden Sie auf dem Informationsportal Tiefe Geothermie.

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