Ohne Fördermittel wird es den nötigen kommunalen Netzaufbau nicht geben

11.05.2021 | Politik | Karin Jehle
Dr. Thomas Reif, Unternehmensberatung Gaßner, Groth, Siederer & Coll

Auch Dr. Thomas Reif, Dipl. Volkswirt und Rechtsanwalt bei Gaßner, Groth, Siederer & Coll, hält es für essenziell für Geothermieprojekte, dass die Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) zügig in Gang kommt. Lesen Sie hier das vollständige Interview zu unserem Hintergrundpapier „Thema im Fokus“.

Wie wichtig ist die „Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW)“ für die Entwicklung Ihrer eigenen Projekte bzw. der von Ihnen beratenen Unternehmen? Inwieweit greifen Sie auf bisher bestehende Förderprogramme wie „Wärmenetze 4.0“ oder das KFW-Programm 272 „Erneuerbare Energien Premium“ zurück?

Die Förderung ist existentiell, insbesondere für neue Projekte. Wir haben in den letzten 17 Jahren über 60 Millionen Euro Fördermittel aus den Programmen der KfW und LfA für die von uns beratenen Geothermieprojekte eingeworben. Die meisten dieser Projekte wären ohne die Fördermittel nicht umgesetzt worden. Aktuell besprechen wir beispielsweise mit mehreren Gemeinden ein gemeinsames Projekt zur Wärmewende im Landkreis Ebersberg. Ohne Fördermittel wird es den nötigen kommunalen Netzaufbau nicht geben. Nur die bereits seit Jahren im Betrieb befindlichen Projekte stoppen einen lukrativen weiteren Netzausbau derzeit nicht, forcieren ihn aber auch nicht.

Der BEE als Interessensvertretung der gesamten Erneuerbare-Energien-Branche beklagt in einem Positionspapier, dass eine fehlende Regelung für die Übergangszeit, bis die BEW in Kraft tritt, Investoren und Betreiber verunsichere und sie bei der Entwicklung neuer Projekte daher erst mal abwarten würden. Ist dies nach Ihren Erfahrungen in der Geothermiebranche mit ihren vergleichsweise langen Entwicklungszeiten auch der Fall?

Wir sehen das Problem der Verunsicherung. Sehr früh stellt sich in jedem Projekt die Frage nach der Finanzierbarkeit. Ist der Projektinitiator auf Fördermittel angewiesen (wie beim Aufbau von Wärmenetzen zumeist), dann kommt es gar nicht erst zur Detailplanung, weil die Umsetzung nicht gewährleistet ist. Wir sind beispielsweise mit einem weit fortgeschrittenen Gemeinschaftsvorhaben im Großraum München befasst, dessen weitere Umsetzung wegen dieser „Hängepartie“ bis auf weiteres aufgeschoben wurde.

Der BDEW fordert ein Fördervolumen im BEW von mindestens einer Milliarde Euro pro Jahr bis zum Jahr 2030 für alle regenerativen Energien im Wärmebereich. Welcher Teil davon wäre für die Entwicklung geothermischer Projekte notwendig, wenn bis dahin tatsächlich 10 TWh jährlich aus geothermaler Fernwärme stammen sollen, wie es die Studie „Klimaneutrales Deutschland 2050“ anvisiert?

Nach unserer Erfahrung benötigt ein Geothermieprojekt, um wirtschaftlich tragfähig zu sein, je nach Erschließungstiefe bzw. Erschließungskosten und Siedlungsstruktur einen Mindestwärmeabsatz von 25 bis 50 GWh im Endausbau. 10 TWh korrespondieren daher mit 200 bis 400 Geothermieprojekten. Unterstellt man vereinfacht einen durchschnittlichen Zuschuss zu den Bohrungen von je 10 Mio. Euro und zu den Netzkosten von 10 bis 20 Mio. Euro, dann beträgt das Zuschussvolumen bei kleinen Projekten 20 Mio. Euro und bei großen Projekten 30 Mio. Euro (Größe bezogen auf die Netzlänge). Den Bedarf bei 400 kleinen Projekten beziffern wir daher überschlägig auf 8 Mrd. Euro, bei 200 großen Projekten auf 6 Mrd. Euro (also mindestens zwei Drittel des jährlichen Fördervolumens).

Für die „Bundesförderung energieeffiziente Gebäude (BEG)“ schlägt der BDEW vor, den Anschluss von Einzelgebäuden an ein Fernwärmenetz nicht vom aktuellen Anteil erneuerbarer Energien abhängig zu machen, sondern von einem ausgearbeiteten Transformationsplan für das gesamte Netz. In Fernwärmegebieten sollten dezentrale Heizungssanierungen sogar von der Förderung ausgenommen werden. Halten Sie das für einen guten Ansatz, um mehr Haushalte zum Anschluss an die Fernwärme zu bewegen?

Den Transformationsplan halten wir aus der Sicht unserer Geothermieprojekte generell für nicht zielführend. Hier geht es in aller Regel um Netzaufbau. Muss dafür ein Alibi-Plan erstellt werden, erhöht dies im besten Fall nur den Verwaltungsaufwand (bei ohnehin knappen Ressourcen), im schlimmsten Fall verhindert es den Zugang zu Fördermitteln und bremst damit die Wärmewende aus.

Wird die Heizungssanierung energetisch sinnvoll durchgeführt, hilft das zweifellos beim Klimaschutz. Entscheidet sich ein potentieller Kunde dann aus ökonomischen Gründen gegen einen Anschluss an das bestehende Fernwärmenetz, sollte der Versorger seine Preis- und Produktpolitik und/oder seine Vertriebsarbeit überprüfen. Nach unserer Erfahrung setzt sich ein vernünftig gestaltetes Fernwärmeangebot aus Geothermie ohne Lenkungsmaßnahmen oder Zwang beim Kunden durch.

 

Quelle:

Enerchange