Der globale Klimawandel hat erstmals eine unumkehrbare Stufe erreicht, so fiel das Resümee des diesjährigen UN-Klimagipfels COP22 aus. Deshalb fordern die Delegierten in der „Marrakech Action Proclamation“ nicht nur Regierungen und Wissenschaft, sondern auch gezielt Unternehmen auf, weltweit Aktionen auf allen Ebenen zu beginnen, um die Erderwärmung auf das in Paris festgeschriebene 1,5 bis 2-Grad-Ziel zu begrenzen.
Ein Unternehmen, das sich bereits seit mehr als einem halben Jahrzehnt diesem Thema intensiv widmet, sind die Stadtwerke München. Ihre „Ausbauoffensive Erneuerbare Energien“ ist fest im „Integrierten Handlungsprogramm Klimaschutz“ der Stadt München verankert. Die Stadtwerke München haben diese Ausbauoffensive bereits im Jahr 2008 gestartet und mit einem Budget von 9 Milliarden Euro gut gepolstert. Bis 2025 wollen sie so viel erneuerbaren Strom aus eigenen Anlagen produzieren, wie die ganze Stadt benötigt. Einen Teilerfolg hatte das Unternehmen bereits im letzten Jahr erreicht. Derzeit werden alle Münchener Privathaushalte und der öffentliche Nahverkehr der Münchener Verkehrsbetriebe mit Ökostrom bedient.
Geothermische Fernwärme für die Stadt
Ein ähnlich ehrgeiziges Ziel wollen die SWM auch im Wärmemarkt erreichen. Wie die Strategie aussehen soll, haben der Geschäftsführer der SWM, Stephan Schwarz, der Geologe und Projektleiter der SWM, Dr. Christian Hecht, und der Präsident des BVG Bundesverbandes Geothermie und ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Unterhaching, Dr. Erwin Knapek, bei einem offiziellen Pressetermin am 22. November 2016 im Heizkraftwerk Süd an der Schäftlarnstraße in München-Sendling erläutert. Hier wird das nächste Geothermie-Projekt der SWM entstehen. „Die Energiewende ist nicht nur eine Strom-, sondern auch eine Wärmewende. Man muss wissen, dass deutlich mehr Energie heute noch auf der Wärmeseite eingesetzt wird. Und da gibt es außer den Devisen zum Sparen und Isolieren nur wenig Phantasie“, äußert sich der SWM-Geschäftsführer Stephan Schwarz. „Wir haben in München die Chance, […] die gewachsene Fernwärme regenerativ zu machen“, so Schwarz.
In der Fernwärmevision 2040 der SWM soll die Isarmetropole die erste deutsche Großstadt werden, die ihre Fernwärme zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie gewinnt. Dazu setzt das Unternehmen in erster Linie auf die forcierte Erschließung der Geothermie. Und diese Vision wird mittlerweile Realität: Die Stadtwerke München verfügen bereits über mehrere wärmeerzeugende Geothermie-Anlagen in der Stadt und im Großraum München. Zwei von ihnen sind für die Fernwärmeversorgung des Stadtgebiets von strategischer Bedeutung.
Vor mehr als 10 Jahren ging die erste Geothermie-Anlage im Stadtteil Riem im Münchener Osten in Betrieb. Seitdem versorgt die Anlage mit 13 Megawatt die Wohnbebauung in der Messestadt, die anliegenden Gewerbebetriebe und die Messe München zu einem überwiegenden Anteil mit tiefengeothermischer Wärme. Seit diesem Jahr ist die Fernwärmeerschließung des gerade im Bau befindlichen Stadtteils Freiham im Münchener Westen abgeschlossen. Die Förderung hat bereits begonnen. Die Fernwärme Freiham ist bereits ans städtische Fernwärmenetz angebunden. Derzeit ist die Anlage noch in der Optimierung.
Von beiden Standorten im Osten und Westen soll demnächst über eine dritte, innerstädtisch zugeschaltete Fernwärme-Anlage die Ost-West-Achse durch die Stadt München geschlossen werden. Für die flächendeckende Versorgung des Stadtgebiets werden aber noch drei weitere geothermische Fernwärme-Anlagen im Stadtgebiet folgen. Wo genau diese zukünftig lokalisiert sein werden, ist derzeit noch Gegenstand der Projektplanung und Standortbewertung. Sie spielen eine überaus wichtige Rolle im Rahmen der Wärmewende der Stadtwerke München. Der Schluss der geothermischen Fernwärmeversorgung in der Nord-Süd-Achse ist für das Jahr 2025 anvisiert.
Historischer Standort mit regenerativem Potenzial
Das Heizkraftwerk Süd ist ein sehr alter Standort und blickt auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurück. Seit 1899 vereint es die gesamte Entwicklungsgeschichte der Stromerzeugung an einem Standort: von bayerischer Pechkohle, Steinkohle über schweres und leichtes Heizöl, einer Müllverbrennungsanlage bis zur heutigen Erdgasverbrennung. Fernwärme wird dort seit Ende der 1960er Jahre in die angrenzenden Stadteile über ein Hochdruckdampfnetz eingespeist. Damals wurde Heizöl und auch die Abwärme aus der Müllverbrennung zur Fernwärmeerzeugung verwendet. Beide Verfahren gehören am Heizkraftwerk Süd seit langem der Vergangenheit an. Derzeit produzieren die SWM dort Wärme aus zwei Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken (GuD1 und GuD2).
Bohren im Stadtgebiet – Novum und Herausforderung zu gleich
Für den Bau der zukünftigen Geothermie-Anlage ist ein innovativer Umbau des Standorts am Heizkraftwerk Süd nötig. Alte Anlagenteile, wie beispielsweise Öltanks und Gleise, werden nächstes Jahr rückgebaut. Dort wird dann der Bohrplatz für die geplante Geothermie-Anlage errichtet. Das geothermische Reservoir unter dem Heizkraftwerk Süd soll über eine Doppel-Dublette erschlossen werden, mit je zwei Förder- und zwei Injektionsbohrungen. Sie werden von diesem einen Standort aus mit einem Richtbohrverfahren auf die anvisierte Reservoirtiefe zwischen 2.000 bis knapp 3.000 Meter abgeteuft. Durch die Ablenkung wird die wahre Bohrstrecke voraussichtlich mehr als vier Kilometer betragen. Dies stellt alle beteiligten Projektpartner, vom Betreiber bis zum Bohrunternehmer, vor große Herausforderungen, denn Bohren im Stadtgebiet auf diese Teufe ist ein Novum in der tiefen Geothermie. Die SWM werden weltweit das erste Unternehmen sein, das sich dieser enormen Aufgabe stellt. Mit den Bohrungen soll Anfang 2018 begonnen werden.
Im Rahmen der Baumaßnahmen zur Geothermie-Anlage wird zur Immissionsreduzierung die geschlossene Fassade zur Schäftlarnstraße hin bestehen gelassen. Die beiden GuD-Anlagen 1 und 2 werden allerdings vorerst weiterbetrieben, denn „die neue Energiezeit verlangt Energieerzeugungsanlagen, die sehr schnell bei hoher Leistung sind“, so Geschäftsführer Stephan Schwarz, „denn die Kunden dürfen zu keiner Zeit vom Wärmenetz abgehängt sein. [...] Die Gasturbine ist eine ganz typische Anlage, die man in dieser Zeit braucht.“ Auf dem Areal der alten Öltanks am Heizkraftwerk Süd wird zur Reservehaltung noch ein neuer Wärmespeicher errichtet werden.
Geothermische Stadtwärme und Quartierskälte
Aber am Standort Heizkraftwerk Süd geht es nicht nur um Wärmegewinnung, sondern auch um Kälteerzeugung. Der angrenzende Großmarkt wird in den nächsten Jahren von der Stadt grunderneuert. Das Areal hat einen hohen Kältebedarf, der bis in die Minus-Grade hineinreicht. Es ist geplant, den Bedarf regenerativ anstatt über konventionelle Kompressoren zu decken. Diese Kälte wird in Zukunft von der Geothermie-Anlage auf der gegenüber liegenden Straßenseite erzeugt, im Gebäude der alten Rauchgasreinigung der ehemaligen Müllverbrennungsanlage. Von dort aus startet das geplante Fernkältenetz für die Stadt München, was in der Innenstadt ansatzweise schon vorhanden ist.
Aus Gas-und-Dampf wird Geothermie
München verfügt über ein historisch gewachsenes Fernwärmenetz, das ursprünglich als Dampfnetz betrieben wurde, mit entsprechend hohen Temperaturen. Doch nun muss das Netz umgestellt werden, von einem Hochtemperaturnetz auf Niedertemperatur, von Kondensat- auf Glasfiberleitungen. Damit die Fernwärmeversorgung mit tiefer Geothermie überhaupt gelingen kann, muss zukünftig mehr Medium mit höherem Druck durch die Leitungen transportiert werden. Daher müssen das Leitungsnetz erneuert und an anderen Stellen Leitungsertüchtigungen vorgenommen werden. Der Umbau eines gesamtstädtischen Dampfnetzes auf ein Niedertemperaturnetz ist bereits zur Hälfte abgeschlossen. „Die gewachsene Fernwärme regenerativ zu machen, das ist ein Unterfangen, was in dieser Form sich noch keiner vorgenommen hat“, konstatierte Schwarz im Rahmen der Projektvorstellung.
Es ist auch auf internationaler Bühne eine Pionierleistung, die die Stadtwerke München mit ihrer Fernwärmevision 2040 erbringen. Dies bestätigte auch der BVG Bundesverband Geothermie, der die Fernwärmevision der SWM als das weltweit ambitionierteste Projekt in dieser Form bezeichnete. "Das hat eine unglaubliche Vorreiterrolle“, so der BVG Präsident Dr. Erwin Knapek. „München ist eine Region, die sich zukünftig CO2-frei versorgen kann."
Während viele Städte sich lange um alternative Lösungen im Rahmen einer zukünftigen Stadtplanung 3.0 gewunden haben, hat München die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt und die Ressourcen aufgegriffen, die der Stadt von Natur aus für eine effiziente und saubere Wärmeversorgung zur Verfügung stehen. Die SWM zeigen, wie mit einem langfristig angelegten und durchdachten Konzept statt einer Summe von Einzellösungen ein bedeutender Beitrag für eine Wärmewende geleistet werden kann. Das Beispiel der Geothermienutzung in München ist aufgrund der geologischen und hydrochemischen Gegebenheiten nicht ohne weiteres auf andere Städte übertragbar. Grundsätzlich sind geeignete geothermische Potenziale auch in anderen Städten vorhanden, jedoch fehlt es an Engagement und politischem Willen zur Umsetzung solcher Masterprojekte.
Für ihre Fernwärmevision setzen die SWM einen Energieträger ein, dem lange das Potenzial für solch eine Herkulesaufgabe abgesprochen wurde. Dies unterstreicht einmal mehr, warum die Geothermie als grundlastfähige Nischentechnologie eine stabilisierende Funktion im Rahmen des Klimaschutzplans und der Energiewende einnehmen sollte, für eine regenerative und effiziente Energieversorgung der Stadt von Morgen.