Klimaneutrales Deutschland 2050

Thema im Fokus 6-2020 | Karin Jehle
Die im November erschienene Studie „Klimaneutrales Deutschland: In drei Schritten zu null Treibhausgasen bis 2050“ von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität misst der Tiefengeothermie in der Fernwärmeversorgung einen nicht unerheblichen Beitrag zu.

Ein machbares Szenario für ein klimaneutrales Deutschland sollten die Prognos AG, das Öko-Institut und das Wuppertal Institut entwickeln. Kernkriterien waren dabei die Wirtschaftlichkeit, die Wahrung der Investitionszyklen und eine Akzeptanz in der Bevölkerung. Ergebnis: Ja, Deutschland kann bis 2050 klimaneutral werden, es sind jedoch deutlich ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen erforderlich.

In einem ersten Schritt sollen die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken. Dies ist der Beitrag, den Deutschland leisten muss, um EU-weit ein Minus von 55 Prozent zu erzielen, wie im Green Deal vorgesehen. Nach 2030 folgt dann Schritt 2, der vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. Die nicht vermeidbaren Restemissionen müssen dann in einem dritten Schritt durch CO₂-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen werden.

Zur Erreichung dieser Ziele müssen alle Sektoren beitragen; ein erheblich flotteres Tempo in der Klimapolitik ist vonnöten. Doch während in vielen Studien zur Klimaneutralität die Tiefengeothermie allenfalls eine marginale Rolle in den Szenarien spielt, soll sie hier einen merklichen Beitrag zur Fernwärmeversorgung leisten. Ein Signal, dass die Bedeutung der Tiefengeothermie zunehmend auch in der Energieszene erkannt wird.

Energiewende, Verkehrswende, Wärmewende

Den größten Beitrag zur Emissionsminderung leistet in der Studie die Energiewirtschaft – 207 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente spart sie bis 2030 ein, bis 2050 sind es weitere 95 Millionen Tonnen. Großes Potenzial schlummert immer noch im Verkehrssektor, der bislang eher stagniert, was die Emissionen betrifft: 73 Millionen Tonnen Treibhausgase müssen bis 2030 durch Verkehrsverminderung, -verlagerung und Elektrifizierung eingespart werden, bis 2050 soll der Ausstoß des Verkehrssektors um weitere 89 Millionen Tonnen sinken.

Im Gebäudebereich sollen die Emissionen bis 2030 um 52 Millionen Tonnen und bis 2050 um weitere 63 Millionen Tonnen sinken. Notwendig ist dafür einerseits eine Erhöhung der Sanierungsrate auf 1,5 Prozent für Ein- und Zweifamilienhäuser und 1,7 Prozent für Mehrfamilienhäuser und Nichtwohngebäude. Andererseits braucht es eine Dekarbonisierung der Heiztechnik. Die Autor*innen der Studie empfehlen, ab 2025 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr einzubauen.

Gerade im Ein- und Zweifamilienhaussektor setzt die Studie auf Wärmepumpen, die im Jahr 2030 24 Prozent der Wohnflächen beheizen sollen, 2050 sollen es 60 Prozent sein. Dabei werden die Wärmepumpen immer effizienter und durch den Einsatz von regenerativem Strom zunehmend klimaneutral im Betrieb.

In Mehrfamilienhäusern und auch bei Nichtwohngebäuden spielt dagegen die Fernwärme eine wichtige Rolle. 16 Prozent der Wohnflächen und 14 Prozent der gewerblichen Flächen sollen 2030 mit Fernwärme versorgt werden. Im Jahr 2050 sind es dann 25 respektive 33 Prozent. Das hat auch Christiane Lohse vom Umweltbundesamt in ihrem epochalen Vortrag auf dem Praxisforum Geothermie.Bayern 2018 so beschrieben (siehe Thema im Fokus 1-2019). Bisher sind lediglich 11 Prozent der Wohnflächen und gerade einmal 4 Prozent der Nichtwohngebäude mit Fernwärme versorgt.

10 Terrawattstunden geothermale Fernwärme 2030

Während die Fernwärmeerzeugung bis 2035 noch steigt (von 125 auf 160 Terrawattstunden), dann stagniert und bis 2050 sanierungsbedingt wieder absinkt (auf 150 TWh), ändert sich die Erzeugungsstruktur sehr stark. Mit dem Kohleausstieg geht die Fernwärmeauskopplung von Stein- und Braunkohlekraftwerken von heute zusammen 38 TWh bis 2030 auf 4 TWh zurück und endet dann. Eine zunächst größere Rolle spielt Erdgas aus Kraft-Wärme-Kopplung, das von heute 51 TWh seinen Peak 2025 mit 73 TWh erreicht, bis 2050 dann aber auch aus der Fernwärmeversorgung verschwunden ist.

„Der Markthochlauf bei neuen Wärmeerzeugern wie der tiefen Geothermie, Solarthermie, Elektrokesseln und Großwärmepumpen kommt nach 2020 ins Rollen“, schreiben die Autor*innen der Studie. 10 TWh sollen 2030 aus Tiefengeothermie stammen, ab 2045 ist dann mit 18 TWh jährlich der Endausbau erreicht. Für die Geothermie entspricht das in etwa einer Verzehnfachung der heutigen Wärmeerzeugung innerhalb der nächsten zehn Jahre. 2019 produzierten Geothermieanlagen in Deutschland laut Statista 1.026 Gigawattstunden Wärme, etwas mehr als eine Terrawattstunde. Zu diesem Ergebnis kommt auch die jährliche Betreiberumfrage im Rahmen des Praxisforums Geothermie.Bayern mit der Verleihung der geothermischen Energiepreise Bayern.

Wärmeprojekte entwickeln, Stromerzeugung nicht vergessen

Ein derartiges Wachstum ist sportlich aber machbar! Mehr als 150.000 Kilowattstunden (150 GWh) produzierte beispielsweise die Geothermieanlage Unterhaching im Jahr 2019 und gewann so den Geothermischen Energiepreis Bayern (wir berichteten). Es bräuchte also jedes Jahr den Zubau von sechs bis sieben neuen Geothermieanlagen in dieser Dimension, um die benötigte Wärme zu erzeugen.

Allein in Bayern sind aktuell 16 geothermische Projekte in der konkreten Planung, die insgesamt eine Leistung von über 300 Megawatt thermisch und mehr als 70 Megawatt elektrisch bringen sollen. Angesichts des dringend notwendigen Wandels in der Wärmeerzeugung ist es also angezeigt, die Planungen engagiert voranzutreiben und weitere Projekte zu entwickeln.

In der Studie keine Erwähnung findet die Stromerzeugung aus Geothermie. Dabei ist diese mit ihrer ganzjährigen, witterungsunabhängigen Verfügbarkeit grundlastfähig und somit eine wichtige Ergänzung der fluktuierenden erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind. Auch hier verfügt Deutschland über ein großes Potenzial, das es zu entwickeln gilt.

Erst Strom, dann Wärme

Zudem zeigt die Entwicklung, dass Strom die Einstiegsdroge für die Wärmeerzeugung ist. Alle geothermischen Stromprojekte in Deutschland haben entweder von Anfang an mit der Stromproduktion auch Wärme verkauft oder nach mehreren Jahren Stromerzeugung auf die gekoppelte Nutzung von Strom und Wärme umgeschwenkt (siehe News zu Kirchstockach,  auf dem Praxisforum 2020 wurde von den SWM gezeigt, dass dies auch für das letzte Stromkraftwerk in Dürrnhaar mittelfristig geplant ist).

Die Erklärung ist simpel: Zur Risikominimierung bietet ein Kraftwerk die sofortige Möglichkeit, Erlöse für die hohen Investitionen zu generieren. Wärmeleitungen und neue Wärmenetze, das heißt Investitionen in eine Wärmeinfrastruktur, können erst nach Feststellung der Fündigkeit einer Geothermiebohrung geplant und gebaut werden. Vorteilhaft sind bestehende Netze oder ein technologieunabhängiger Ausbau der Fernwärme. Denn Wärme aus tiefer Geothermie ist ökonomisch eine äußerst interessante Alternative, wie der Vortrag von Dr. Martin Pehnt vom ifeu Institut beim diesjährigen Praxisforum Geothermie.Bayern gezeigt hat.

Die Studie „Klimaneutrales Deutschland“ mit ausführlichen Informationen zu allen Sektoren und vielen Grafiken finden Sie hier.

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