Massive Verwerfungen auf den Energiemärkten

10.05.2022 | Anlagenbetrieb | Karin Jehle
Helve-Uve Braun SWM

Bis in die 2030er Jahre wollen die Stadtwerke München (SWM) den Geothermieanteil an ihrer Fernwärmeversorgung auf 70 Prozent ausbauen. Zu den Auswirkungen der aktuellen fossilen Preissprünge auf die Fernwärmepreise, zu den Münchner Ausbauplänen und zur preisstabilisierenden Wirkung der Geothermie führte Enerchange ein Interview mit Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM.

Enerchange: Herr Braun, der BR sagt, im Münchner Umland koste die Fernwärme teilweise nur halb so viel wie in München. Für einen Drei-Personen-Haushalt nennt der BR einen Fernwärmepreis von aktuell gut 2.200 Euro pro Jahr bei den SWM. Stimmt das so und woran liegt der starke Preisanstieg?

Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auf dem internationalen Energiemarkt zu massiven Verwerfungen geführt. Dies traf auf einen Markt, auf dem die Energiepreise schon zuvor erheblich gestiegen waren, nachdem sich die Weltwirtschaft von den Corona-Einbrüchen zunehmend erholte. Der Krieg hat nun für weitere, wirklich dramatische Preiserhöhungen, insbesondere bei Gas, Öl und Kohle gesorgt. Damit haben sich auch die Kosten für die Erzeugung von Energie drastisch und unmittelbar erhöht.

Dies hat auch deutliche Auswirkungen auf die Fernwärmeerzeugung und damit auf die Münchner Fernwärmepreise. Waren diese von Mitte 2019 bis Ende 2020 kontinuierlich gesunken, steigen sie seit Anfang 2021 in Reaktion auf die höheren Kosten an den Energiemärkten stark an.

Die Frage, welche Auswirkungen die Erhöhung auf einen Dreipersonenhaushalt in einem Mehrfamilienhaus pro Jahr haben wird, können die SWM nicht eindeutig beantworten. Die SWM schließen Wärmeversorgungsverträge mit dem jeweiligen Eigentümer des zu versorgenden Gebäudes, nicht mit einzelnen Haushalten. Die auf die einzelnen Haushalte entfallenden Kosten der Wärmeversorgung sind abhängig von der Größe des Gebäudes bzw. der Anzahl der Wohnungen, den jeweiligen mietvertraglichen bzw. für die jeweilige Wohnungseigentümergemeinschaft geltenden Vereinbarungen sowie dem Verbrauchsverhalten der einzelnen Haushalte. Es ist uns daher nicht möglich, die konkreten Auswirkungen einer Erhöhung der Fernwärme-Preise auf einen Haushalt zu beziffern.

Ein Vergleich mit anderen Fernwärmeunternehmen ist zu einem isolierten Zeitpunkt kaum aussagekräftig. Jedes Unternehmen hat eigene Abnahme- und Erzeugungsstrukturen, die in den jeweiligen Preisänderungsklauseln abgebildet werden. Zudem unterscheiden sich die Preisänderungsregelungen, wie etwa die Anpassungszeitpunkte oder die Zeiträume, für die die Indizes bei Anwendung der Preisänderungsklausel berücksichtigt werden. Teilweise werden zudem für CO2-Kosten separate Preisbestandteile verwendet.

Letztlich ist davon auszugehen, dass die Verteuerung der Energie an den Rohstoffmärkten überall zu Preiserhöhungen für die Fernwärme führt: Bei einigen Anbietern in Deutschland haben sich die hohen Energiepreise ebenfalls schon niedergeschlagen, viele andere werden nach und nach folgen.

Wie hoch ist der Anteil der Geothermie an der Fernwärme in Ihrem Unternehmen?

Der Anteil erneuerbarer Energien – Geothermie und thermische Verwertung – an der Münchner Fernwärme liegt aktuell bei rund 13 %. Dieser Anteil soll bis in die 2030er Jahre auf bis zu 70 % steigen.

Welchen Einfluss hat das auf die Preise?

Der Ausbau der Geothermie reduziert zwar die Abhängigkeit von fossilen Energien, aber sie erfordert sehr hohe Investitionen. Zudem wird die Geothermie derzeit unzureichend gefördert. Perspektivisch könnte der Ausbau der Geothermie zu einer Stabilisierung der Fernwärmepreise beitragen.

Welche anderen Energieträger nutzen Sie für die Wärmeproduktion?

Die beiden wesentliche Primärenergieträger der Münchner Fernwärme sind derzeit noch Erdgas und Steinkohle.

Spüren Sie auch Auswirkungen der derzeitigen Energie- und Rohstoffkrise? Wirkt sich das auf den Ausbau des Fernwärmenetzes aus?

Die SWM sind ebenso wie ihre Kund:innen von den drastischen Preisanstiegen auf den Weltmärkten betroffen, da sich auch für uns die Energieerzeugung deutlich verteuert. Dennoch halten wir weiterhin am Ausbau der Fernwärme und am Ausbau der Geothermienutzung in und um München fest.

Unabhängig von den aktuellen Entwicklungen arbeiten wir bereits seit 2012 auch am Gelingen der Wärmewende: Wir wollen die Fernwärme bis spätestens 2040 klimaneutral erzeugen, überwiegend aus Geothermie. Für deren Einspeisung bauen wir derzeit die verbliebenen Dampfnetze unseres rund 900 km langen Fernwärmenetzes auf Heizwasser um.

Haben Sie vermehrte Kundenanfragen, seit die Energiepreise so stark steigen und die Menschen sich der Abhängigkeit von russischen Gasimporten bewusst werden?

Ja, die Aufmerksamkeit der Kundinnen und Kunden für das Thema Energiepreise, aber auch  für deren Erzeugung und Herkunft, ist so hoch wie lange nicht.
Wir sehen dies durchaus als Chance für das Vorantreiben der Energiewende, gerade auch im Wärmesektor, im engen Schulterschluss mit der Bevölkerung. Geothermie ist „grüne und lokale Fernwärme“, sie dekarbonisiert die Wärme- und Kälteversorgung, verringert Energieimporte und schafft Wertschöpfung in Deutschland.

Wie viel Potenzial die Geothermie auszubauen haben Sie noch und wie kann der Ausbau beschleunigt werden?

Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Fernwärmeversorgung für München soll bis in die 2030er-Jahre auf bis zu 70 Prozent ansteigen. 

Die Nutzung von Geothermie für die Dekarbonisierung der Fernwärme ist aber nicht nur auf Süddeutschland beschränkt. Das Potenzial in ganz Deutschland beträgt für die Tiefe und Mitteltiefe Geothermie zwischen 118 und 300 Terawattstunden pro Jahr. Um dieses heben zu können und den Ausbau zur Substitution von russischem Gas massiv zu beschleunigen, braucht es dringend Verbesserungen der Rahmenbedingungen durch die politisch Verantwortlichen. Dabei geht es auch um erhebliche finanzielle Mittel aus dem Bundeshaushalt.

Quelle:

Enerchange