Überwältigende Nachfrage nach geothermischer Fernwärme

Thema im Fokus 2-2022 | Karin Jehle
Teaserbild Thema im Fokus Fernwärmepreise
Kann Geothermie die Fernwärmepreise in Zeiten massiver Preisschwankungen bei fossilen Brennstoffen stabilisieren? Wie ist die Nachfrage in der Bevölkerung, wenn die Energieabhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus undemokratischen Regimes plötzlich so deutlich wird? Und welche Ausbaupotenziale sehen Geothermieunternehmen im Münchner Raum? Dazu haben wir Interviews geführt, die wir in dieser Ausgabe von Thema im Fokus für Sie in Beziehung setzen.

Enerchange wollte nach dem Energiepreisschock im Frühjahr 2022 evaluieren, welche Auswirkungen die Tiefengeothermie auf die Fernwärmepreise hat. Hintergrund war auch ein Artikel auf der Webseite des Bayerischen Rundfunks, der die Fernwärmepreise in München thematisierte. Hier wurde vor allem verdeutlicht, dass die Unternehmen im Münchner Umland preisstabile Wärme anbieten konnten – auch dank Geothermie. Enerchange hat in den vergangenen Wochen die Betreiberunternehmen von Geothermieanlagen dazu interviewt.

Wir wollen darstellen, wie die Geothermie dazu beiträgt, die Wärmekosten für Haushalte stabil zu halten. Außerdem interessierten uns die Ausbaupotenziale und -pläne der Betreiber. Sechs der angefragten Unternehmen haben geantwortet: Geovol Unterföhring, IEP Pullach, Energiewende Garching, Geothermie Unterhaching, die Stadtwerke München sowie die Bayernwerk Natur GmbH als Betreiberin des Geothermieheizwerks Poing. Die vollständigen Interviews haben wir in der Reihenfolge des Eintreffens publiziert.

Preisvergleiche sind schwierig

2.200 Euro jährlich – das ist der Fernwärmepreis, den der BR für einen Drei-Personen-Haushalt bei den SWM nennt. Dieser Betrag ist allerdings schwer zu verifizieren, denn weder die angenommene Wohnfläche noch der Verbrauch werden genannt. Um eine Stellungnahme gebeten, sagte Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM: „Die SWM schließen Wärmeversorgungsverträge mit dem jeweiligen Eigentümer des zu versorgenden Gebäudes, nicht mit einzelnen Haushalten.“ Daher seien die auf die einzelnen Haushalte entfallenden Kosten abhängig von der Größe des Gebäudes bzw. der Anzahl der Wohnungen, den hausintern geltenden Vereinbarungen sowie dem Verbrauchsverhalten der einzelnen Haushalte. „Es ist uns daher nicht möglich, die konkreten Auswirkungen einer Erhöhung der Fernwärmepreise auf einen Haushalt zu beziffern.“ Gleichwohl hätten die massiven Verwerfungen auf dem internationalen Energiemarkt zu wirklich dramatischen Preiserhöhungen, insbesondere bei Gas, Öl und Kohle, gesorgt. Das spiegelt sich unmittelbar in den Erzeugungskosten für Fernwärme.

Auch die befragten Unternehmen aus dem Münchner Umland wiesen darauf hin, dass „Drei-Personen-Haushalt“ reichlich unspezifisch sei und sie ebenfalls ihre Verträge mit den Gebäudeeigentümer:innen und nicht mit einzelnen Mietparteien abschlössen. Helmut Mangold, Geschäftsführer der Innovative Energie Pullach, konstatierte: „Um das kommentieren zu können, muss man sich die Preisbestandteile anschauen, sonst verwechselt man Äpfel mit Birnen.“ Die Kostenstruktur – beispielsweise ab welcher Anschlussleistung Gebäude überhaupt beliefert werden oder ob es Zuschüsse aus dem kommunalen Haushalt gibt – ist jeweils verschieden, was einen fairen Preisvergleich schwierig macht.

Dennoch gibt es Zahlen, die auch in den Preisblättern auf den Unternehmenswebseiten zu finden sind: Bei einer Annahme eines Jahresverbrauchs von 10.000 Kilowattstunden wurden Preise zwischen 1.150 Euro (Garching) und 1.713 Euro (Unterhaching) genannt. Die Geovol Unterföhring rechnete mit einem eher sparsamen Haushalt und veranschlagte für einen jährlichen Wärmeverbrauch von 8.330 kWh 829,17 Euro. Zum Vergleich: Die Autorin verbrauchte in einem 4-Personen-Haushalt im letzten Jahr 5.200 kWh – allerdings in einem effizienten KfW55-Gebäude. Dieses wird auch mit Fernwärme versorgt, leider ohne Geothermie. Trotz des niedrigen Verbrauchs fielen Kosten von 850 Euro an.

Auch geothermische Fernwärme nicht frei von Energiemarkteinflüssen

Garching ca. 75 Prozent, Unterhaching und Poing 85 Prozent, Unterföhring 89 Prozent und Pullach sogar 95 Prozent – das sind die Anteile aus geothermischer Energie in den Fernwärmenetzen im Münchner Umland. Die Millionenstadt München hat es deutlich schwerer als die kleineren Gemeinden und muss zudem ein fossil betriebenes Netz auf regenerative Energien umstellen. Aktuell stammen lediglich 13 Prozent aus erneuerbaren Quellen, inklusive der thermischen Verwertung von Abfällen. Die SWM arbeiten mit Hochdruck an der Wärmewende und wollen den Anteil regenerativer Energien bis in die 2030er Jahre auf bis zu 70 Prozent steigern und spätestens 2040 klimaneutral sein.

Doch auch Geothermieanlagen sind nicht völlig frei vom Geschehen auf den Energiemärkten. So benötigen die Förderpumpen Strom, für die Spitzenlast an kalten Wintertagen und, um die Wärmeversorgung bei Wartungsarbeiten zu gewährleisten, sind Gaskessel oder Blockheizkraftwerke eingebunden. Christian Maier, Geschäftsführer der Energiewende Garching, meint dazu: „Die Energiepreise explodieren. Der Preis der EWG ist auf 7,6 ct./kWh gestiegen. Ein solcher Anstieg ist in der Geschichte der EWG noch nie vorgekommen. Trotzdem sind wir deutlich günstiger als alle anderen Lösungen.“

Helmut Mangold sieht für Pullach lediglich moderate Steigerungen kommen: „Preissteigerungen von fossilen Energieträgern wirken sich nur zu einem Zehntel im Fernwärmepreis der IEP aus. Wie stark sich Strompreiserhöhungen (Strom wird in Deutschland zu rund 50 Prozent aus fossilen Trägern erzeugt) auf die Fernwärmepreise auswirken, bleibt abzuwarten.“ Peter Lohr, Geschäftsführer der GEOVOL in Unterföhring, sieht das ähnlich: „Der Wareneinsatz ist überwiegend Öko-Strom, kaum fossil. Hauptkostenanteil sind die Abschreibungen auf Bohrungen, Zentralen und Fernwärmenetz, daher haben wir sehr stabile Eigenkosten. Die letzte Erhöhung für unsere Kunden war zum 1.10.2021 und betrug etwa 1,8 Prozent auf den Wärmepreis.“

Robert Budde ist als Leiter Vertrieb bei der Bayernwerk Natur GmbH zuständig für das Heizkraftwerk Poing. Er sieht vor allem wegen des Einsatzes von Strom für die Förderpumpen und dem anteiligen Gaskesseleinsatz durch die aktuellen Entwicklungen an den Energiemärkten auch Auswirkungen auf sein Unternehmen zukommen. Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer der Geothermie Unterhaching rechnet mit einer Preissteigerung um die 15 Prozent zum 1. Oktober. Er nimmt dabei Bezug auf den Wärmemarktindex, der aus rechtlichen Gründen in der Preisgleitklausel enthalten ist.

Absurd: Wärmemarktindex verteuert Erneuerbare, wenn fossile Preise steigen

Dieses Element in der Berechnung der Fernwärmepreise thematisierte auch die ARD-Sendung plusminus am 5. Mai. Geothermie wurde leider nicht erwähnt. Der Wärmemarktindex war ursprünglich dazu gedacht, sicherzustellen, dass Fernwärmeversorger sich am Durchschnitt der Wärmepreise in Deutschland orientieren müssen. Der Gedanke dabei war es, Verbraucher:innen vor willkürlichen Preisfestlegungen zu schützen. Steigen jedoch die Preise für fossile Brennstoffe exorbitant, schlägt das auch auf die Fernwärme aus erneuerbaren Quellen durch.

Prof. Christian Buchmüller von der Fachhochschule Heide erklärt dies im Beitrag folgendermaßen: „Wenn ich aus Erneuerbaren meine Wärme erzeuge, da stabile Konditionen habe und über zehn, zwanzig Jahre denselben Preis anbieten könnte, der Markt aber insgesamt im Durchschnitt teurer wird, weil die Fossilen teurer werden, dann muss ich über diesen Markteffekt meinen Preis anheben, obwohl er sich eigentlich gar nicht erhöht. Im Zweifel schwindet dann natürlich die Akzeptanz der Erneuerbaren.“ Nach der Meinung von Verbraucherschützer Thomas Engelke ist die Regelung von 1980 heute nicht mehr zeitgemäß: „Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher die hohen fossilen Energiepreise indirekt mitbezahlen müssen, obwohl sie nur erneuerbare Energien verbrauchen, dann konterkariert das ein Stück weit die Energiewende“, sagt er im Interview mit plusminus. Die Bundesregierung müsse die Verordnung so überarbeiten, dass bei der Preisfindung für erneuerbare Energien die fossilen Energieträger keine Rolle mehr spielten.

Überwältigende Nachfrage – Ausbaupotenzial vorhanden

Übereinstimmend berichten alle befragten Unternehmen, dass die Nachfrage nach geothermischer Fernwärme stark steige. Schon vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine hätten sich vermehrt Anschlusswillige an sie gewendet – einerseits angesichts der auch im vergangenen Jahr schon steigenden Preise für Öl und Gas, andererseits aufgrund eines höheren Bewusstseins für Klimaschutz und den Wert heimischer regenerativer Energie. Für Unterhaching spricht Wolfgang Geisinger von täglich bis zu 20 Anfragen für Neuanschlüsse im März: „Ausgelöst durch die Unsicherheiten am fossilen Energiemarkt, merken wir im Gespräch mit den Interessenten auch eine steigende Dringlichkeit beim Wunsch nach dem Anschluss an das kommunale Wärmenetz.“ In Unterföhring sei die Durchführung von Neuanschlüssen kaum mehr zu bewältigen, sagt Peter Lohr: „Die Nachfrage zog bereits im Herbst mit den steigenden Energiepreisen an und steigt überproportional seit Kriegsbeginn.“

Um dieser Nachfrage nachzukommen, sind alle Anlagenbetreiber dabei, ihre Fernwärmenetze auszubauen. Bedingt durch den derzeit überall zu beobachtenden Fachkräftemangel sowie steigende Preise für Baumaterialien sind dem Ausbautempo indes Grenzen gesetzt. Doch das Potenzial ist vorhanden! Die IEP Pullach plant beispielsweise in einem Joint-Venture mit den SWM die Bohrung von drei Doubletten (wir berichteten). Auch im Unterföhriger Claim ist laut Peter Lohr noch Platz für weitere Dubletten. Robert Budde spricht für Poing von zusätzlichen Kapazitäten beim Netzausbau wie auch bei der Fördermenge von rund 25 Prozent.

Die Energiewende Garching prüft, im nächsten Jahr die geothermische Quelle um 50 Prozent von 100 Liter auf 150 Liter pro Sekunde zu erhöhen. Parallel arbeiten die Garchinger mit einem Partner daran, exergetische sekundäre Optimierungen durchzuführen, um den Rücklauf auf 45 Grad zu reduzieren. Wenn sich auch die in unmittelbare Nachbarschaft liegende Technische Universität München (TUM) für einen Anschluss entscheiden könne, werde man umgehend die Planung einer weiteren Bohrung umsetzen: „Das positive Gutachten liegt schon vor.“

In Unterhaching beschloss der Gemeinderat am 18. Mai einstimmig und fraktionsübergreifend den Vollausbau des geothermischen Wärmenetzes. Bis spätestens 2028 sollen alle Bürger:innen die Möglichkeit haben, sich anschließen zu lassen (wir berichteten).

Bundesregierung muss den Ausbau stärker unterstützen

Ebenso einig waren sich sämtliche Befragten, dass die staatliche Förderung aktuell für einen beschleunigten Ausbau nicht ausreicht. „Das Potenzial in ganz Deutschland beträgt für die Tiefe und Mitteltiefe Geothermie zwischen 118 und 300 Terawattstunden pro Jahr“, sagt Helge-Uve Braun von den SWM. „Um dieses heben zu können und den Ausbau zur Substitution von russischem Gas massiv zu beschleunigen, braucht es dringend Verbesserungen der Rahmenbedingungen durch die politisch Verantwortlichen. Dabei geht es auch um erhebliche finanzielle Mittel aus dem Bundeshaushalt.“  

Auch Helmut Mangold betont, dass der Ausbau ohne eine staatliche Förderung – Stichwort BEW, Bundesförderung effiziente Wärmenetze – nicht beschleunigt werden könne. Peter Lohr sieht „generelle Schieflagen und Bremsklötze gesetzlicher und struktureller Natur gegen die tiefengeothermische Fernwärme.“ Und Robert Budde empfiehlt weitere Förderprogramme, die direkt Geothermieprojekten zugeordnet würden, um beim Ausbau der geothermischen Fernwärme Tempo zu machen.

Fazit: Das Potenzial der geothermischen Fernwärme ist gewaltig, gerade im geologisch begünstigten bayerischen Molassebecken, aber nicht nur dort. Auch in anderen Teilen Deutschlands kann der Ausbau grüner Fernwärme helfen, die Preise zu stabilisieren. Dabei ist die Kopplung der Fernwärmepreise an die fossilen Marktkapriolen veraltet und sollte abgeschafft werden. Gerade in den Gemeinden, die schon einen hohen Anteil von Geothermie an der Fernwärmeversorgung haben, ist die Nachfrage extrem hoch – so hoch, dass die Anbieter mit dem Ausbau der Netze kaum hinterherkommen. Dies spricht für eine sehr hohe Akzeptanz vor Ort. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit einer Wärmewende in der Bevölkerung ist definitiv vorhanden. Mit dem Krieg in der Ukraine ist die bedrohliche Abhängigkeit nochmals deutlicher geworden. Es ist Zeit, jetzt (endlich) zu handeln!